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(4) 1956 und die politisch-psychologischen Folgen

Die Rekonstruktion einer Wirkungsgeschichte von «1956» ist ein komplexes Unterfangen, weil neben
objektiven Resultaten auch subjektive Wahrnehmungen Teil der Rechnung sind, Verdrängungen und Verdrehungen, Instrumentalisierungen und immer
neue Interpretationen.

Er werde dafür sorgen, dass es in Ungarn in den nächsten hundert Jahren keine Revolution mehr gebe. Gesagt wurde das im Herbst 1849 vom Militärgouverneur Julius Haynau, der, nachdem die vereinigte Militärmacht Österreichs und Russlands die Armeen der ungarischen Aufständischen zur Kapitulation gezwungen hatte, im Land mit Todesurteilen und Kerkerstrafen eine Schreckensherrschaft errichtete. So steht es in jedem ungarischen Schulbuch, so lebt Haynau in Ungarn in der allgemeinen Erinnerung fort. Weniger bewusst ist der ungarischen Öffentlichkeit bis zum heutigen Tag, dass die Rache der Sieger nach dem Volksaufstand von 1956 um einiges grausamer ausgefallen ist als die Vergeltung ein gutes Jahrhundert zuvor. Die Zahl der Opfer war grösser – weit über zweihundert Todesurteile wurden vollstreckt – , der Terrorfeldzug dauerte länger, er ebbte erst in der ersten Hälfte der sechziger Jahre ab (viele blieben aber auch danach ein Leben lang Repressionen ausgesetzt), und die Unmenschlichkeit suchte ihresgleichen. Bekannt ist der Fall eines verurteilten Jungen, den man bis zu seinem achtzehnten Geburtstag im Gefängnis behielt, um ihn, den nunmehr Volljährigen, gleich darauf hinrichten zu lassen.

Wer waren die Verantwortlichen? Ungarns neu eingesetzte kommunistische Führung, mit János Kádár an der Spitze, wurde bei der Niederwerfung des Aufstands, inmitten erbitterter Kämpfe, am 7. November 1956 buchstäblich in einem sowjetischen Panzer nach Budapest gebracht. Kádár und die Mitglieder der von Moskau bestellten Marionettenregierung gehörten zu der Zeit und noch lange danach zu den meistgehassten Leuten im Land. Der Druck Moskaus und der anderen kommunistisch regierten Staaten auf Kádár war nach der Erstickung des Widerstands gewaltig; mit den Revolutionären, ob es Strassenkämpfer, Politiker oder intellektuelle Vorbereiter der Erhebung waren, sollte gnadenlos abgerechnet werden.

Der tschechische Parteifunktionär Zdenek Mlynar, dem zwölf Jahre später beim Reformexperiment des Prager Frühlings eine bedeutende Rolle zufiel, schrieb im Rückblick auf 1956, die Kommunisten hätten um ihr Leben gefürchtet angesichts dessen, was in Budapest geschehen sei. Ähnlich wie Haynau forderten nun auch sie eine Vergeltung, die den Ungarn die Lust an der Revolution für immer nehmen würde.

In späteren Jahren, als das Kádár-Regime sich mit milderen Formen der Herrschaft zufriedengab und das Kapitel «1956» zu entschärfen suchte, liess es immer wieder durchblicken, die Rache, wie sie tatsächlich geübt worden war, sei eigentlich nicht nach dem Geschmack der ungarischen Führung gewesen, vielmehr habe sie den Forderungen der Sowjetunion und der anderen Länder des Blocks nachgeben müssen. Das ist, wie man mittlerweile weiss, nicht die ganze Wahrheit. Den Parteigewaltigen der Nachbarländer war das ungarische Blut in der Tat wohlfeil, aber auch Kádár und seine Leute waren bei der Einschüchterung des Landes nicht eben wählerisch in der Wahl ihrer Mittel. Historisch gut erforscht ist heute insbesondere der 1958 geführte, mit Todesurteilen endende Prozess gegen den Ministerpräsidenten der Revolutionsregierung, Imre Nagy. Aus den Unterlagen geht eindeutig hervor, dass Kádár selber die Hinrichtung Nagys betrieb, weil er sich in seiner Machtposition nicht sicher fühlte, solange der in seinem ethischen Verhalten so anders geartete Rivale am Leben war.

Ungarische Emigranten, die das Land im Spätherbst 1956 verlassen hatten und die überwältigende nationale Einigkeit und den Widerstandsgeist der Revolution in ihrer Erinnerung bewahrten, machten in späteren Jahren den zu Hause gebliebenen Landsleuten gelegentlich den Vorwurf, sie hätten kleinlaut vor dem kommunistischen Unrechtsregime kapituliert. Die Vorhaltung war billig und ungerecht. Billig, weil sich im freien Ausland leicht reden liess, und ungerecht, weil der Herbst 1956 in Ungarn eine besondere Zeit gewesen war, wie sie im Leben von Nationen nur sehr selten vorkommt – ein begeisternder Ausnahmezustand, der sich aber nicht unbegrenzt auf den Alltag ausdehnen lässt. Heroismus und Opferbereitschaft sind nicht jahrelang aufrechtzuerhalten, wenn ihre Vergeblichkeit offenkundig wird. Die Menschen in ihrer gewaltigen Mehrheit wollen nicht als tragische Helden sterben, sondern leben, so gut oder schlecht es eben geht.

In den Jahren nach dem Aufstand war Ungarns Gesellschaft gleich zweifach ernüchtert. Zum einen brachte der Ausgang der Erhebung, brachten die Sowjetpanzer und die Abrechnung mit Teilnehmern und Sympathisanten der Revolution allen drastisch bei, wie die Machtverhältnisse lagen. Zum anderen hatte sich 1956 erwiesen, dass die Westmächte diese Machtverhältnisse hinnahmen, dass das kleine Ungarn – ungeachtet leichtsinniger Versprechungen aus dem Ausland und vieler Illusionen im Inland – Hilfe von nirgends erwarten konnte. Die ungarische Bevölkerung, die Nutzniesser des kommunistischen Regimes ausgenommen, hatte Ungarns Sowjetisierung nach 1948 als einen Übergangszustand empfunden. Der Aufstand nährte sich aus der – empfundenen, wenn auch in dieser Form vielleicht nicht formulierten – Hoffnung, die europäische Nachkriegslage sei noch nicht so festgefahren, dass sie sich nicht ändern liesse. Die Frage vor 1956 lautete: Wie wollen wir leben, wenn diese Verhältnisse bald einmal zu Ende gehen? Im Rahmen einer ersten und schwerwiegenden politisch-psychologischen Folge der gescheiterten Revolution wurde die Frage nach 1956 modifiziert: Wie also wollen wir uns einrichten, wenn mit diesen Verhältnissen offenbar auf lange Frist zu rechnen ist?

Das Kádár-Regime war dank dem Aufstand zustande gekommen. Kádár selbst hatte, bevor er halb gezwungen, halb freiwillig, die ihm von Moskau offerierte Quisling-Rolle annahm, zur Regierung Imre Nagy gehört; auch war er inmitten der Revolutionswirren an die Spitze der kommunistischen Partei gekommen, da er annehmbarer erschien als seine stalinistischen Vorgänger. Das gleiche Kádár-Regime wurde dann während seines über dreissig Jahre währenden Bestands nicht müde, den Volksaufstand als «Konterrevolution» zu beschimpfen. Was 1956 geschehen war, stellte in der Tat die Legitimität der kommunistischen Herrschaft in Frage. Die Revolution oder «die bedauerlichen Ereignisse von 1956», wie es später hiess, sollten am besten gleich völlig aus der Erinnerung der Nation getilgt werden. Eine ganze Generation wuchs denn auch auf, die von der Revolution nichts oder nur Zweifelhaftes, Ungewisses und Verwerfliches zu hören bekam.

Diese Unsicherheit in der Beurteilung des Aufstands ist in Ungarn immer noch deutlich zu spüren. Zwar ist der 23. Oktober, der 1956 den Beginn der Kundgebungen und des bewaffneten Kampfes markierte, seit 1990 Nationalfeiertag. Und ebenso ist seit der Wende eine breite Geschichts- und Memoirenliteratur über den Aufstand vorhanden. Dennoch trifft man im Land immer wieder Leute, die zögernd erklären, sie wüssten nicht recht, was sich damals begeben habe, das sei eine unklare Geschichte, die einen sagten dies, die anderen das, man könne sich da nicht auskennen. Den gleichen Rang wie die Revolutionsjahre 1848/49 konnte 1956 im ungarischen Bewusstsein jedenfalls bis heute nicht annähernd gewinnen. Parteipolitischer Zwist trägt zu dieser Verwirrung bei; gemeint ist der gleich nach 1989 einsetzende Streit der neuen politischen Kräfte um müssige Fragen: Wer hat 1956 «gemacht», die Linke oder die Rechte? (Antwort: beide.) Und: Wer darf folglich die Erhebung als sein geistiges Eigentum beanspruchen? (Antwort: niemand und alle.) Dennoch ist die verbreitete Unwissenheit als Folge der Kádár-Ära gleichzeitig ein erschreckendes Zeugnis dafür, in welchem Ausmass ein totalitäres Regime das Gedächtnis einer ganzen Nation zu manipulieren vermag.

Dabei war die Revolution von 1956 in den nachfolgenden Jahrzehnten in Ungarn in ihren Auswirkungen ständig und viel stärker präsent, als die meisten Magyaren das je vermuteten und wahrnahmen. Um es kurz zu sagen: die Ungarn lebten von den späten sechziger Jahren an etwas leichter, und dies verdankten sie der Revolution von 1956. Es gilt als ein Gemeinplatz, dass die Frage «Wie wäre es gewesen, wenn…?» in der Geschichtswissenschaft müssig ist. Doch im vorliegenden Fall lässt der Vergleich mit dem Los der anderen «sozialistischen Bruderländer», in denen es zu keiner Erhebung ähnlicher Art gekommen war, zumindest einige Vermutungen zu. Die sture Parteidiktatur in der Tschechoslowakei bestand etwa bis 1989 fort, und von den Zuständen im östlichen Nachbarland, wo Ceausescu dem im Elend gehaltenen rumänischen Volk seine groteske Alleinherrschaft aufzwang, war das Ungarn der siebziger und achtziger Jahre schon weit entfernt. Nicht nur die ungarische Bevölkerung hatte 1956 ihre Lektion über die Machtverhältnisse gelernt, sondern auch die kommunistische Führung in Budapest und in Moskau: diesem in seinen Reaktionen unberechenbaren Land war etwas mehr Freiraum zu gewähren.

So hat sich eine andere ungarische Geschichtserfahrung abermals bewahrheitet: dass sich Widerstand auf lange Frist bezahlt macht, dass er sich auch gegenüber einem übermächtigen Gegner lohnt. Der 1849 verlorene Krieg hatte – nach einer Zeit der Unterdrückung – auf ähnliche Art mit dazu geführt, dass sich der Sieger 1867 bereitfand, den österreichisch-ungarischen Ausgleich auszuhandeln. Die Parallele ist freilich nur mit einer charakteristischen Einschränkung gültig: der «Ausgleich», den das Kádár-Regime mit Moskau und mit dem eigenen Volk traf, war – im Gegensatz zu der Einigung zwischen Wien und Budapest hundert Jahre zuvor – nirgends festgelegt. Es gab keine rechtlichen Grundlagen, keine schriftlichen Garantien. Die längere Leine, an der die Sowjetführung Ungarn hielt, konnte sich je nach politischer Stimmung wieder straffen, und auch das, was im Land selbst möglich war, blieb stets ungewiss; das gestern noch Tolerierte konnte heute wieder unter Verbot fallen.

Immerhin, wenn die Behauptung richtig ist, wonach die grosse Freiheit sich aus vielen kleinen Freiheiten zusammensetzt, dann genossen die Ungarn in den letzten zwei Jahrzehnten der kommunistischen Herrschaft doch eine beträchtliche Anzahl kleiner Zugeständnisse, und sie standen damit im Ostblock – zeitweise allenfalls neben den Polen – allein. Ein stillschweigend geschlossenes und eingehaltenes Abkommen zwischen dem Regime und der Bevölkerung besagte ungefähr dies: «Ihr fragt nicht nach der Legitimität unserer Macht und nach der Natur des Verhältnisses zur Sowjetunion, sprecht nicht laut über 1956 und, ganz allgemein, ihr mischt euch nicht in die Politik ein. Respektiert ihr diese Regeln, dann lassen wir unsererseits euch in Frieden, ihr braucht euch nicht täglich zu begeistern, wir kümmern uns nicht einmal besonders darum, wie ihr über uns denkt, verfolgen niemanden und gestehen euch sogar zu, dass ihr friedlich ein etwas besseres, kleinbürgerliches Auskommen findet; dies alles, wohlverstanden, in Grenzen, die wir bestimmen, und unter der Bedingung, dass ihr das Maul haltet.»

Das mag nach wenig tönen, war aber unter den damaligen osteuropäischen Verhältnissen viel. Nach dem Terror der fünfziger Jahre und dem Rachefeldzug, der Ungarn als Reaktion auf den Aufstand heimsuchte, empfand die Bevölkerung namentlich die Entpolitisierung und die Beruhigung der Atmosphäre als wohltuend. Die allgegenwärtige Indoktrinierung hörte auf, und es gab keine politischen Prozesse mehr. Der Ende der sechziger Jahre eingeführte «neue Wirtschaftsmechanismus», der die zentrale Planung lockerte und Marktelemente zu berücksichtigen suchte, zeitigte später einen bescheidenen Aufschwung. Die Ungarn erhielten die nach und nach erweiterte Möglichkeit, auch Westreisen zu unternehmen, und das Land wurde dem westlichen kulturellen Einfluss in einem Ausmass geöffnet, das sich in Osteuropa sehr ungewöhnlich ausnahm. Der «Gulaschkommunismus», wie der selbstironische Übername für diese ungarischen Zustände lautete, war freilich im letzten Jahrzehnt vor 1989 nur noch durch eine zunehmende Auslandsverschuldung aufrechtzuerhalten.

Die Annahme liegt nahe, dass weder die Machthaber in Moskau noch jene in Budapest sich aus karitativer Neigung zu diesem Kurs entschlossen hatten. In der Tat verhielt es sich so, dass die Kommunisten, in deren von Klassenkampf bestimmtem Welt- und Geschichtsbild die Revolution und die gewaltsame Entscheidung eine erstrangige Rolle spielten, die Sprache von 1956 verstanden hatten. Tausende von Todesopfern auf beiden Seiten – das wog schwer. Pathetisch, aber wohl nicht unzutreffend gesagt: Ungarns etwas grösserer Freiraum in späteren Jahrzehnten war mit Blut erkauft. Ins Gewicht fiel sodann, dass die Ereignisse im Herbst 1956 für die Sowjetunion und die kommunistische Bewegung im Ausland einen gewaltigen Prestigeverlust brachten. Die Erosion des Anhangs westlicher Sympathisanten begann, ein Prozess, der sich immer mehr beschleunigte, als Moskau den Prager Frühling auslöschte und als Solschenizyn das sowjetische Gulag-System offenlegte.

Bei all dem wäre es aber vermutlich ungerecht, wenn man kein Wort über János Kádár verlöre, der nach 1956 Ungarns Geschicke über dreissig Jahre gelenkt und, selber von 1956 gezeichnet, von den späten sechziger Jahren an zweifellos den Kompromiss gesucht hat. Höhe- und Tiefpunkte finden sich im Leben dieses Mannes auf eine nahezu unglaubliche Weise: Kádár als Mitverantwortlicher für den 1949 abgehaltenen Schauprozess gegen seinen Genossen László Rajk; Kádár als selber eingekerkertes Opfer des Stalinismus in den frühen fünfziger Jahren; Kádár als Minister Imre Nagys und als Nationalkommunist, der Ende Oktober 1956 erst den heldenhaften Unabhängigkeitskampf rühmte und dann einige Tage später die Rolle als Marionette der Sowjets akzeptierte; Kádár, der verhasste, blutige Rächer, der in Ungarn nach 1956 aufräumte; Kádár, der 1958 den Rivalen Nagy hinrichten liess; Kádár, der allmählich die Zügel lockerte und der fortan – wohl auch unter Berufung auf die tragischen Erfahrungen des Volkaufstands – es geschickt verstand, gegenüber Moskau den Sonderkurs seines Landes zu verteidigen; Kádár als Garant der einigermassen erträglichen Verhältnisse, der Puritaner, der mit der Zeit in Ungarn sogar Popularität erlangte; Kádár, der im April 1989, drei Monate vor seinem Tod, als psychische Ruine an einer Sitzung des Zentralkomitees auftrat und in einer wirren Rede seine Gewissensqualen wegen Rajks und Nagys Tod erkennen liess. Wie man auch über ihn urteilen will, eines steht fest: Kádár ist eine der widersprüchlichsten und rätselhaftesten Figuren in Ungarns jüngster Geschichte.

Nicht verschwiegen werden sollte bei all dem, dass dem Beschwichtigungskurs der späten Kádár-Zeit ein politischer Erfolg zweifelhafter, wenn auch verständlicher Art beschieden war. Gemeint ist, dass der Parteichef dem Land einzureden vermochte, das von ihm Erreichte sei angesichts der gegebenen europäischen Realitäten das Bestmögliche; wer darüber hinausgehen wolle, benehme sich als verantwortungsloser Abenteurer. So kam es, dass die grosse Mehrheit der Ungarn 1980/81 die Propagandaparolen der Partei akzeptierte und der polnischen Gewerkschaftsbewegung «Solidarnosc» die Sympathien versagte. Die Revolution 1956 hatte in Budapest mit einer Kundgebung vor dem Denkmal des polnischen Generals József Bem begonnen – als Geste der Solidarität mit dem damals ebenfalls revoltierenden Polen. Fünfundzwanzig Jahre später dagegen schien es den Ungarn, Lech Walesa und seine Gewerkschaft seien Phantasten, sie reizten unnötig die Sowjetunion, gefährdeten Ostmitteleuropas Stabilität und damit auch die besondere Stellung Ungarns. Auch dies, die eifersüchtige Wahrung eines bescheidenen, nach 1956 möglich gewordenen und erarbeiteten Besitzstandes, gehört zu den Folgen des Volksaufstands.

Zu erwähnen bleibt schliesslich, dass das «wunderbare Jahr 1989», in dem die ostmitteleuropäischen kommunistischen Systeme weggefegt wurden, in Ungarn in einem bedeutenden Mass ebenfalls im Zeichen von 1956 stand. Gerade weil die Erinnerung an 1956 tabu war, entfaltete Ende Januar 1989 die Tatsache, dass der Reformpolitiker Imre Pozsgay in einer öffentlichen Erklärung davon sprach, es habe sich im Herbst 1956 nicht um eine Konterrevolution, sondern um einen Volksaufstand gehandelt, eine enorme Sprengkraft. Damit rührte er an die Legitimität des Regimes, dessen eigene Wurzeln ja auch zum Aufstand zurückreichten. Im Juni erzwang dann die mittlerweile erstarkte politische Opposition die Neubestattung Imre Nagys und seiner hingerichteten Mitstreiter; rund 200’000 Menschen erschienen zu der Trauerfeier auf dem Budapester Heldenplatz. Als an dieser Veranstaltung einer der Redner, der damals 26jährige Viktor Orbán, der 1998 Ministerpräsident werden sollte, den Abzug der Sowjettruppen aus Ungarn forderte und das kommunistische System gnadenlos geisselte, das ungarische Radio aber dessen ungeachtet fortfuhr, die Feierlichkeiten direkt zu übertragen, da wurde klar: eine Diktatur, die die Kraft nicht mehr hat, derartiges zu verhindern, hat abgedankt.

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(6) Solidarität und Ausgrenzung – die Ungarnhilfe

Die Solidarität der Schweizer Bevölkerung mit den ungarischen «Freiheitskämpfern» war gross: es gab eine Spendenwelle bisher unerreichten Ausmasses, unzählige Sympathiekundgebungen und politische Appelle. Nach der gewaltsamen Niederschlagung des Aufstandes durch die sowjetische Armee entlud sich die Wut der Menschen vereinzelt gegen die Kommunisten, die «Russen» im eigenen Land.

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