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(2) Enhancement – Modellierung eines Ideals

Schön, gesund, sexuell attraktiv, körperlich und geistig maximal leistungsfähig. Und dies bis in alle Ewigkeit. Eine Vision, die von der Medizin fordert, nicht mehr nur zu heilen, sondern die menschliche Natur zu verbessern.

Die Gegenwart begeistert sich an der Vorstellung des perfekten Körpers: medizinische Eingriffe zur Verschönerung des Körpers haben ihre Anrüchigkeit weitgehend verloren, Doping erfreut sich in weiten Teilen des Leistungssportes grosser Beliebtheit. Stars und Models sind öffentliche Leitbilder geworden, die in Sachen Aussehen und Selbstdarstellung die Massen inspirieren. In gewisser Weise scheint der Körper selbst von der ganzen Person Besitz zu ergreifen. Eine Person wird mehr und mehr danach beurteilt, wie weit es ihr gelingt, ihren Körper an die äusserlichen Ideale der sexuellen Attraktivität und der maximalen Leistung anzupassen.

Die Abbildungen in den Populärmedien, die den Körper des Sportlers als eine Maschine zeigen, sind Stilisierungen dieses Prinzips: es gibt keine Person mehr, sondern der Mensch ist völlig in der Aufgabe aufgegangen, seinen Körper zu perfektionieren. Dennoch besitzt das Bild des Körpers in der medialen Darstellung eine eigenartige Künstlichkeit. Die Gesellschaft, die von der Vorstellung des idealen und zeitlos jungen Körpers besessen zu sein scheint, entfernt sich in der Realität immer stärker von diesem Ideal.

Denn in Wirklichkeit leben wir in einer rapide alternden Gesellschaft, die mit Bewegungsmangel und chronischer Überernährung kämpft. Dieser Kampf erscheint relativ aussichtslos, solange er sich allein gegen die Auswirkungen dieser Lebensweise richtet, und das Unternehmen einer «Verbesserung» oder des enhancement des menschlichen Körpers als eine vergleichsweise fruchtlose Kompensationsübung.

Der Begriff «enhancement» bezieht sich auf medizinische Eingriffe, die nicht auf die Therapie einer Krankheit, sondern auf aussermedizinische Zwecksetzungen – wie die Verwirklichung eines Schönheitsideales – abzielen. Doch das Gesicht des alternden Stars wirkt am Ende trotz den vielen Operationen nicht nur alt, sondern auch maskenhaft leer, seines Charakters entkleidet. Als Folge gerät daraus möglicherweise die Überlegung, eine «Verbesserung» des menschlichen Körpers müsse nur noch radikaler gedacht und durchgeführt werden, als das mit den chirurgischen Praktiken und leistungssteigernden Mitteln der Gegenwart möglich sei. Eine derartige Form des enhancement des menschlichen Körpers kann jedoch auch eine Form der Verdrängung darstellen, zur Vermeidung einer Konfrontation mit den Grenzen der eigenen Lebensführung.

Ist die Tatsache, dass der Mensch selbst Hand an seine eigene Natur legt, dass er sie gestalten und kultivieren, dass er ihre natürlichen Grenzen überschreiten will, nicht eine seiner ureigensten Eigenschaften? Wurde nicht die menschliche Kulturgeschichte mit den Elementen der Erziehung und der zweckdienlichen Zurichtung des Körpers gerade von der Einstellung geprägt, dass die Natur des Menschen nicht ein für allemal festgelegt sei, sondern zukunftsoffen immer wieder neubestimmt werden müsse? Bereits der Renaissance-Philosoph Giovanni Pico della Mirandola nennt den Menschen in seiner Schrift «Über die Würde des Menschen» ein Chamäleon, da er mit freiem Willen seine eigene Natur bestimmen könne («De hominis dignitate oratio», 1486).

In diesem Zusammenhang ist allerdings auf einen europäischen Sonderweg zu verweisen, der in der Aufklärung das Bild des natürlich-kultivierten Körpers des Europäers gegenüber dem barbarisch-zugerichteten Körper des Fremden konstituiert. Der Körper des Europäers erscheint äusserlich unberührt und wird (seit den Zeiten des griechischen gymnasion) durch innere Übung und Disziplin kultiviert; die barbarischen Praktiken des Zusammenbindens des Fusses (bei der chinesischen Frau), der Deformierung des Schädels (bei den südamerikanischen Inka und Maya), der Tätowierung der Haut (in Polynesien), des Anspitzens der Zähne (in Afrika, Ozeanien, Lateinamerika) und der Zufügung von Schmucknarben (in Melanesien und Südafrika) erscheinen demgegenüber als kulturell minderwertig. Aber sind sie nicht lediglich weitere Demonstrationen des anthropologischen Prinzips, dass die Natur des Menschen zu einem hohen Grad von kulturellen Praktiken geformt und überlagert wird, in einem Ausmass, wo sich von der Natur des Menschen nur noch in einem metaphorischen Sinne sprechen lässt? Diese Beobachtung scheint allerdings – eher als die Einstellung eines laisser-faire gegenüber allen möglichen Körpermodifikationen – die Frage nach den eigenen Gründen für die Ablehnung oder Akzeptanz von Eingriffen am menschlichen Körper nahezulegen.

In den modernen, liberalen Industrie- und Konsumgesellschaften steht das Prinzip der Selbstbestimmung an vorderer, wenn nicht vorderster Stelle bei der Rechtfertigung individuellen Handelns. Die subjektiven Gründe des Individuums erscheinen als genügende Legitimation, auch wenn es um die Frage geht, ob der einzelne sich selbst schädigen dürfe. So gesehen, hat der Liberalismus gemäss John Stewart Mills Konzeption – zu der auch gehört, dass jedermann das Recht habe, sich selbst zu schädigen – mittelfristig einen Sieg davongetragen. Ist nicht jeder mündige Bürger in der Lage, selbst zu entscheiden, ob er gefährliche Sportarten ausüben, riskante Geldanlagen zeichnen oder eben, zwecks Formung von Körper und Psyche, zu gesundheitlich nicht notwendigen Operationen oder Medikamenten greifen will? Das Prinzip der individuellen Verantwortlichkeit birgt aber auch die Gefahr, gesellschaftliche, kulturelle und subkulturelle Anpassungszwänge gar nicht mehr als solche wahrnehmen zu wollen. Das Individuum in gesellschaftlichen Zusammenhängen neigt oft zu gleichförmigen Entscheidungen und Handlungen, auch wenn es diese als Form der Individualisierung und Ausdruck der authentischen Persönlichkeit verstanden wissen will.

Wie weit reicht nun das Prinzip der Selbstbestimmung, angewandt auf die Formung des eigenen Körpers als Ausdruck einer authentischen Persönlichkeit? Und wie ist mit den Wünschen von Eltern umzugehen, die möchten, dass ihr Kind über gewisse Eigenschaften verfügen soll, die ihm später Vorteile im sozialen Umgang mit anderen und Erfolg im Arbeitsleben sichern sollen? Ist es nicht legitimer Ausdruck elterlicher Sorge, das Kind mit den besten Eigenschaften ausstatten zu wollen, um es für spätere Konkurrenzsituationen zu rüsten? Einige Autoren argumentieren, dass eine solche Form der «Verbesserung» nur graduell von der konventionellen Form der Erziehung zu unterscheiden sei. Wäre eine vorgeburtliche Steigerung des Intelligenzquotienten nicht wesentlich zweckdienlicher und angenehmer, als das Kind später zur Nachhilfe zu schicken, um ihm so eine entsprechende Bildungslaufbahn zu ermöglichen? An diesen Gedankengängen lässt sich ablesen, dass es sich im Zusammenhang mit einer «Verbesserung» des Menschen offensichtlich nicht in jedem Fall um Selbst-, sondern mitunter auch um Fremdbestimmung darüber handelt, welche Eigenschaften für andere Menschen für erstrebenswert gehalten werden. Die Erziehungsanalogie zeigt auch gewisse Grenzen der «Bildung» des Menschen. Die moderne Pädagogik versteht sich als eine Unterstützung der Persönlichkeit, der sie Wissen und Hilfen zur Lebensführung an die Hand gibt – es geht ihr nicht um eine Anpassung und Änderung der Person, wie von enhancement-Massnahmen angepeilt. Wir akzeptieren eben nicht alles als Erziehung, sondern nur das, was zu einer Entfaltung der vorhandenen Talente und zu einer emanzipativen Stärkung der Person zu führen vermag.

Ein besonders augenfälliges Feld der biomedizinischen Auseinandersetzung mit den natürlichen Grenzen des menschlichen Körpers ist die sogenannte Anti-Ageing-Medizin. Interessant dabei ist insbesondere, dass das Alter – von einigen unliebsamen Begleiterscheinungen abgesehen – nicht selbst als Krankheit gelten kann, wobei sich die Frage stellt, wogegen sich die Anti-Ageing-Medizin denn eigentlich richtet. Das Phänomen der Anti-Ageing-Bewegung zeigt auch, dass die verbreitete Verherrlichung des jugendlichen Körpers nur die eine Seite der Medaille ist, während die andere Seite darin besteht, die Lebensphase des Alters zu entwerten und sie sogar zu etwas Behandlungsbedürftigem zu machen. Traditionell war das Alter immer ein Zeichen des besonderen Status eines Menschen. Mit dem Alter wurde eine besondere Würde, in langen Jahren angehäuftes Wissen oder sogar Weisheit verbunden. Die Dynamisierung der modernen im Vergleich zur traditionellen Gesellschaft führt jedoch zu einer rapiden Veraltung solchen Wissens, so dass auch der besondere Status der Alten selbst fragwürdig zu werden scheint. Anti-Ageing-Medizin als eine Auseinandersetzung mit dem alternden Körper, die diesen als möglichst fit und jugendlich erscheinen lassen soll, vermag hier nichts weiter, als das Aussehen der Alternden zu retuschieren. Es bleibt eine offene Frage, ob die Verluste, die aus der Ablehnung des Alters entstehen, nicht grösser sind als die erwarteten Gewinne, die ohnehin niemals zu einer Auflösung des Grunddilemmas des Alterns führen können.

Dass gewisse Gruppen in besonderem Umfang zu «Verbesserungs»-Massnahmen greifen – Frauen (zur Herbeiführung eines sexuell attraktiven Körpers), Migranten (zur Europäisierung ihres Aussehens), kleinwüchsige Menschen (zur Anpassung ihres Körpers an den Grössendurchschnitt), unaufmerksame Kinder, insbesondere Jungen (zur Erhöhung ihrer Konzentrationsfähigkeit) und alte Menschen –, deutet darauf hin, dass diese Personen offenbar mit ihren physischen und psychischen Eigenschaften in ganz besonderem Masse nicht dem gesellschaftlichen Leitbild des leistungsfähigen und selbstbestimmten Individuums entsprechen. Diese Feststellung ist paradox, da es sich in diesen Fällen nicht per se um «Randgruppen» oder behandlungsbedürftige Zustände im genuinen Sinn handelt. Die Feststellung ist auch in der Hinsicht paradox, dass sich die modernen, liberalen Gesellschaften als besonders freizügig verstehen und sich regelmässig darauf etwas zugute tun, dass in ihnen eine besondere Form des Pluralismus, eine Akzeptanz der Vielfalt, gepflegt werde. Doch diese Selbstsicht wird Lügen gestraft, wenn diejenigen, die nach Verhalten oder Aussehen nicht der Norm entsprechen, sich dem unterschwelligen Anspruch gegenübersehen, sich durch operative oder pharmakologische Massnahmen bitteschön auf Gleich bringen. So geschieht es denn, dass solche «Verbesserungs»-Massnahmen von einigen Betroffenen primär als Emanzipationsakte gegenüber den bisher erfahrenen Zurückweisungen verstanden und unternommen werden. Und es bleibt die Feststellung, dass sich die Toleranz der «liberalen» Gesellschaften gegenüber abweichendem Verhalten oder Aussehen in engen Grenzen zu halten scheint.

Die Realität des enhancement sieht also vergleichsweise trist aus gegenüber den Befürwortern einer Modifikation des Menschen und den hochfliegenden Visionen, wie sie sich etwa im Transhumanismus niederschlagen. Kann der erdverhaftete Wunsch nach operativen Eingriffen zwecks Angleichung an ein herrschendes Schönheitsideal überhaupt etwas zu tun haben mit der luftigen Sicht von der Überwindung des Menschen durch eine biotechnologische Fortsetzung der naturwüchsigen Evolution der Arten? Möglicherweise laufen diese Zukunftsbilder auf die Bereitstellung – zumindest in Form eines theoretischen Überbaus – einer Ideologie der Machbarkeit hinaus, die momentan allerdings noch mit einigen fundamentalen Mängeln behaftet ist.

Entgegen den Versprechungen der Protagonisten des Transhumanismus, sind es zur Zeit keineswegs die Entwürfe der Techniker und Ingenieure, die für eine besonders langlebige Dauer und Existenz künstlicher Produkte stehen, sondern die natürlichen Originale, die aus dem selbstregulierenden Verlauf der Evolution hervorgegangen sind. Ein typisches «langlebiges» Konsumgut wie ein Auto hat eine maximale Lebensdauer von vielleicht 15 bis 20 Jahren – die durchschnittliche Lebensspanne des Menschen beträgt ein mehrfaches davon. Die Energie- und Leistungsbilanz moderner Maschinen ist bescheiden gegenüber den Leistungen der natürlichen Organismen. Die Entwürfe der modernen Robotik gelten normalerweise nach vier bis fünf Jahren als Schrott, wenn sie überhaupt je funktioniert haben. Die jahrzehntelangen Bemühungen zur Entwicklung künstlicher Intelligenz könnten mangels Nachweisbarkeit auf keiner Intelligenzquotienten-Skala verortet werden. Die sogenannte Neuroprothetik und -sensorik steht im Moment in jeder Hinsicht am äussersten Anfang jeglicher eventuell möglichen Entwicklung. Denn mit den groben Mitteln der Elektronik sich in das superkomplexe und filigrane menschlichen Nervennetz einzuloggen, ist eine gigantische Herausforderung. Die Aufnahme und Bearbeitung der von einer beliebigen Umweltsituation produzierten Information, wie das menschliche Gehirn sie umfassend und problemlos als «Hintergrundaufgabe» bewältigt, ist mit einer computergestützten Bildauswertung allenfalls für einige wenige fest definierte Parameter zu schaffen. Der Transhumanismus ist also eine Utopie im eigentlichen Wortsinn – zum gegenwärtigen Zeitpunkt unrealistisch. Ob er sich je als mehr als heisse Luft zu entpuppen vermag, wird sich erst zeigen müssen.

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