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(2) Der Kampf
zur Erzwingung des Glücks

Die moderne Demokratie ist geradezu gezwungen, mit Umverteilungsangeboten zu arbeiten, um Mehrheiten zusammenzubringen.

Es gab eine Zeit, da in den Rechtsstaaten des Westens die persönlichen Verhältnisse eines Menschen, wie zum Beispiel seine Stellung in der Gesellschaft, sich nur dann als ungerecht brandmarken liessen, wenn sie nachweislich auf einen Rechtsbruch zurückzuführen waren. Die Rechtsordnung war zeitlos und im Öffentlichen Recht und im Privatrecht niedergelegt. Ferner war es Gemeingut, dass einige Menschen im Leben erfolgreicher sein würden als andere, ohne dass dabei ein Rechtsbruch im Spiel gewesen wäre, und dass Reichtum oder Armut per se keine Beweise geschehenen Unrechts darstellten.

Mit dieser Sicht übereinstimmend, war eine Laissez-faire-Wirtschaft und die Auffassung, es gehöre zu den Pflichten des Staates, die Unverletzlichkeit des Privateigentums zu gewährleisten. Es ist augenfällig, dass damit gleichzeitig jeglicher Art von Umverteilung die Legitimität entzogen war. Die moderne Demokratie dagegen ist geradezu gezwungen, mit Umverteilungsangeboten zu arbeiten, um Mehrheiten zusammenzubringen; sie kann es sich somit nicht leisten zuzugeben, dass es sich dabei um illegale Praktiken handelt. Die klassische Sicht, es gebe «keine Ungerechtigkeit ohne vorangegangenes Unrecht», musste deswegen vom Tisch.

«Soziale Gerechtigkeit ist ein unendlich handlicher Begriff,

bloss ist er bar jeglichen Sinngehalts.»

Ersatz für sie wurde eine Weile lang in der «sozialen Gerechtigkeit» gefunden. Im Gegensatz zu Gerechtigkeit tout court, gibt es bei der «sozialen Gerechtigkeit» keine Gesetze, die gehalten oder gebrochen werden könnten. Deshalb lässt sich von keinen Umständen je sagen, sie seien «sozial gerecht». Denn unablässig und in jedem Fall können sie noch gerechter gemacht werden, indem man ein weiteres Legosteinchen an das Wohlfahrtsgefüge dranpackt, das die Umverteilungs-Vergangenheit für uns errichtet hat. Soziale Gerechtigkeit ist ein unendlich handlicher Begriff, denn er legt nacktem politischen Opportunismus oder gleichmacherischem Eifer den würdigen Mantel der Gerechtigkeit um. Bloss ist er bar jeglichen Sinngehalts und bedarf daher dringend des Beistands einer intellektuell attraktiveren und etwas vollständigeren Theorie.

Zur Rechtfertigung der Umverteilung stützt diese sich auf zwei Behauptungen, deren eine will, dass die Gesellschaft am besten prosperiere und wachse, wenn sie als eine Art Versicherungsverein auf Gegenseitigkeit funktioniere. Demgemäss werden Opfer höherer Gewalt – Erdbeben, Trockenheit, Brandkatastrophen, Überschwemmungen – im einen Teil des Landes durch die anderen, verschonten Einwohner entschädigt, und das Leben kann weitergehen. Angeblich ist dieses System von unseren Jäger-und-Sammler-Vorfahren auf uns gekommen, bei denen der vom Glück begünstigte Jäger seine Beute mit den leer zurückgekehrten Stammesgenossen teilte, in der Erwartung, das nächste Mal würden diese dann mit ihm teilen. Das System hat im Falle verderblicher Beute eine einleuchtende Logik, wird aber fragwürdig, sobald sich die Beute aufbewahren lässt, vollends bedenklich jedoch dann, wenn es immer dieselben «Jäger» sind, die teilen müssen, weil immer sie Glück und immer die anderen Pech haben.

Ganz besonders unschön ist zudem, dass das System nach dem Prinzip der schiefen Ebene funktioniert. Anfänglich werden nur Katastrophenopfer entschädigt. Doch wenn ein Hochwasseropfer abgefunden wird, warum dann nicht das Opfer einer Marktüberschwemmung durch billige chinesische Textilimporte? – nicht zu reden von den Opfern des technischen Fortschritts, eines Geschmackswandels der Konsumenten, einer restriktiven Finanzpolitik. Offensichtlich werden sich immer mehr Opfer finden, die für mehr und mehr Dinge entschädigt werden wollen, die mit höherer Gewalt nicht das geringste zu tun haben. Auch wird das System nicht auf Gegenseitigkeit beruhen, da es annähernd die ewiggleiche Gruppe von Leuten sein wird, die immerfort zur Kasse gebeten werden. Was als Versicherung auf Gegenseitigkeit daherkommt, ist in Tat und Wahrheit blanke Umverteilung, ohne jeden Anschein von Gerechtigkeit.

Das zweite Standbein dieser – wie man sie nennen könnte – Theorie der «Gerechtigkeit ohne Gesetze» postuliert, einfach ausgedrückt, dass Gerechtigkeit als Fairness zu verstehen sei und dass dem – seinem Wesen nach unfairen – Glück nachgeholfen werden müsse. Eines Menschen vererbte oder erworbene Fähigkeiten, seine Charaktereigenschaften und sein Besitz, sein Wille und seine Befähigung, Wissen zu erwerben und Anstrengungen auf sich zu nehmen – alle sind sie «Glücksgeschenke», die «moralisch willkürlich» sind, da er nichts dafür getan hat, sie zu verdienen. Ebensowenig hat ein Mensch, der nur wenige solcher Gaben mitbekommen hat, seine dürftige Ausstattung selbst verschuldet.

«Die Auswirkungen des Glücks sind aus dem System herausgefiltert.»

Die Gerechtigkeit-als-Fairness-Theorie macht uns nun weis, damit alle Menschen trotz ihrer Unterschiedlichkeit zu einer Einigung über ein System sozialer Einrichtungen (einschliesslich der Besteuerung des Einkommens und des Vermögens) zu gelangen vermöchten, müssten die Verhandlungen darüber hinter einem «Schleier der Unwissenheit» stattfinden, das heisst, jeder einzelne hätte seine eigene jeweilige Ausstattung auszublenden und zu vergessen. Aller Gaben völlig entkleidet, ist dann jeder haargenau gleich wie jeder andere. Niemand hat mehr als der andere, niemand ist vom Glück begünstigt, und niemand vom Unglück benachteiligt. Da keiner von sich weiss, ob er im wirklichen Leben intelligent oder dumm, vom Glück gesegnet oder vom Unglück geschlagen ist, werden alle für eine Gesellschaft stimmen, in der jede Ungleichheit aufgehoben ist. Die Auswirkungen des Glücks sind aus dem System herausgefiltert, da die Menschen – von Fairness beseelt – damit einverstanden sind, diejenigen Institutionen zu schaffen, die dem Glück die Launen austreiben.

Es ist willkürlich, wenn auch nicht völlig absurd zu behaupten, ein unverdienter Vorteil sei unfair. Völlig absurd und ein krasser sprachlicher und logischer Schnitzer ist hingegen die Behauptung, alles was nicht verdient sei, sei unverdient. Zwischen dem, was verdient und dem was unverdient ist, gibt es eine immense Bandbreite von Dingen, die moralisch neutral – weder verdient noch unverdient – sind, d.h. einfach existent, Tatsachen des Lebens.

Aber die Bedeutung dieser Absurdität verschwindet neben dem wirklich furchterregenden Missgriff, die Gesellschaft darauf zu verpflichten, im Dienste der «sozialen Gerechtigkeit» oder – ein etwas weniger konfuser Ausdruck – der «Verteilungsgerechtigkeit» gegen die elementarsten und mächtigsten Kräfte des Lebens in den Kampf zu ziehen, um das Glück an die Kandare zu nehmen. Gesellschaften, die dies auch nur zum Teil versuchten – die verblichene Sowjet-union lässt grüssen –, sind unter der Anstrengung zusammengebrochen. Reife Wohlfahrtsstaaten, die diesen Weg ein Stück weit gegangen sind, sind von den explodierenden Kosten in die Knie gezwungen worden. Das Glück ist ein äusserst ernstzunehmender Gegner, und es ist ein Kapitalfehler, es mit Hilfe der Gerechtigkeit zwingen zu wollen.

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