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(11) Freiheit durch Bindung

Der Mensch ist im christlichen Verständnis nicht Herr über sich selbst. Freiheit bedeutet entsprechend Befreiung von der Welt durch die Bindung an Gottes Willen. Eine Verteidigung einer Paradoxie.

Welche Güter, die uns die Geschichte gebracht hat, müssen wir unbedingt bewahren, wenn unser Leben lebenswert bleiben soll? Es wäre verfehlt, diese Frage durch Streichung all dessen, was wir allenfalls entbehren könnten, zu beantworten. Wertordnungen entstehen nicht durch Subtrak­tion. Überdies weiss niemand im voraus, welche Güter er selber, geschweige denn eine folgende Generation, dereinst entbehren kann. Wir müssen stattdessen die Frage beantworten, was wir als das höchste Gut unserer abendländischen Tradition schätzen. Es ist die Idee der Freiheit; die Idee, dass zum Personsein, zum Selbstsein zwingend die Freiheit gehört, ja dass Frei-sein und Selbst-sein identisch sind. Die politischen Katastrophen des 20. Jahrhunderts wurzeln wesentlich in der Krise der Freiheitsidee.

Die Freiheitsidee hat ihren Beginn im Griechentum. Hier ist sie entsprungen und von hier aus entwickelte sie sich. Sie erhielt dann im Chris­tentum ihre eigene Ausprägung, und beide Formen haben in der Geschichte des Abendlandes ihre Wirkung entfaltet, bald vereint, bald in Spannung und Konkurrenz. Beide verstehen die Freiheit nicht als subjektive Willkür. Das Griechentum sieht die Freiheit konstituiert durch das Gesetz der Polis, das für die Bürger bindend ist. Und das Christentum sieht die Freiheit in der Bindung an Gottes Willen beziehungsweise an die Wahrheit Jesu Christi. Freiheit, dem ursprünglichen Wortsinn nach primär Freiheit von, ist wesenhaft Freiheit zu, nämlich zu dem, was die Bindung fordert.

Das Urchristentum, zunächst Paulus (wie vor ihm das hellenistische Judentum), hat die Idee der Freiheit vom Hellenismus übernommen – als innere Unabhängigkeit von der Welt. «Welt» ist hier nicht mehr im Sinne des griechischen Kosmos verstanden, sondern als die Summe aller verführerischen und verderblichen Mächte, die den Menschen von seinem Leben wegziehen wollen. Der Mensch wird gesehen als einer, der sich selbst wird in den konkreten Entscheidungen, die er angesichts von Ereignissen und Menschen sowie angesichts des Schicksals fällt. Das hebräische «Sein» ist ein «Werden». Erst in seinen Entscheidungen gewinnt der Mensch Charakter und Gestalt. Seine bereits getroffenen Entscheidungen konstituieren seine Persönlichkeit. Insofern ist er an seine eigene Geschichte gebunden, also keineswegs völlig frei. Um völlig frei zu sein, müsste er von seiner Vergangenheit, von sich selbst und von seiner Sünde entkoppelt werden.

Deshalb scheint mir der Mensch bei Paulus tiefer und realistischer erfasst als in der Stoa. Für den Stoiker ist der Mensch frei, wenn sein Denken dem Gesetz der Vernunft folgt. Dahinter öffnet sich das weite Glatteis der Idealismen. Für den Christen dagegen ist fraglich, ob der Mensch in seinen Entscheidungen Herr über sich selbst ist. Nicht das Gute, das ich will, tue ich, sondern das Böse, das ich nicht will, das treibe ich voran. (Römer 7,19) Dies gilt nicht nur für den einfachen Bürger, sondern auch für die politischen Mandatsträger. Macht muss deshalb räumlich und zeitlich begrenzt sein.

Weil der Staat heute tief in Wirtschafts- und Kulturbereiche eingedrungen ist, ist seine Stellung problematisch geworden. Dass Schulen, Universitäten, Theater und Opernhäuser nur von Staatsgeldern leben können, ist nicht so eindeutig wie es scheint. Doch angenommen, es sei so: wie weit darf sein Aufsichts- und Mitspracherecht gehen? Die Gefahr, dass solche Institutionen von den politischen Parteien bespielt werden, ist unübersehbar. Hier lauert in jeder Demokratie ein totalitäres Risiko.

Schutz bietet die Erkenntnis, dass es echte Freiheit nur in der Bindung gibt. Es geht darum, die Bindung an Gottes Wort wieder zu finden, es als befreiend zu erfahren und zu bejahen. Weil der Mensch ein geschichtliches Wesen ist, soll uns die Besinnung auf die Geschichte – auch auf die Geschichte Gottes mit den Menschen – die Augen öffnen für die Möglichkeit verlässlicher Autorität und damit für Möglichkeiten wahrhaft menschlicher Existenz.

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