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(1) Wer braucht sie, wer will sie, wer bezahlt sie?

Der Blick in den sommerlichen Veranstaltungskalender zeigt statt der erwarteten Flaute ein verlockendes Angebot an Festivals. Was für die traditionellen Institutionen, die Opern- und Theaterhäuser Sommerpause bedeutet, ist für die Festivals Hochsaison. Festivals sind aus dem sommerlichen Kulturkalender nicht mehr wegzudenken. Das Publikum geniesst die lauen Sommerabende an Festivals, von den Zürcher Festspielen zum Theaterspektakel, […]

Der Blick in den sommerlichen Veranstaltungskalender zeigt statt der erwarteten Flaute ein verlockendes Angebot an Festivals. Was für die traditionellen Institutionen, die Opern- und Theaterhäuser Sommerpause bedeutet, ist für die Festivals Hochsaison. Festivals sind aus dem sommerlichen Kulturkalender nicht mehr wegzudenken. Das Publikum geniesst die lauen Sommerabende an Festivals, von den Zürcher Festspielen zum Theaterspektakel, vom Festival la Bâtie bis zum Verbier Festival, und, und, und… Festivals sind zum gesellschaftlichen Stelldichein geworden. Man trifft sich am Internationalen Filmfestival Locarno, um sich wenige Wochen später am Lucerne Festival wieder zu begegnen. Der Festivalzirkus lockt vieles und viele an, hochkarätige Produktionen, experimentelle Kunstformen, Szenenkultur und schillernde Gäste.

Fragen seien erlaubt. Welche Kunstformen brauchen heute noch Festivals, um wahrgenommen zu werden? Soll das Publikum, mit einem reichbefrachteten Festivalkalender zusätzlich zum traditionellen Kulturangebot, in die kulturelle Besinnungslosigkeit getrieben werden? Warum sollen der Staat oder private Kulturförderer Festivals finanzieren? Wären die Mittel der Festivals, gerade in einer Zeit knapper werdender Mittel, in den Institutionen nicht wirkungsvoller eingesetzt?

Das Theater weist im Spielplan Stücke auf, die vor einigen Jahren ausschliesslich an einem Theaterfestival gezeigt worden wären. Der Konzertsaal programmiert musikalischen crossover, und auch in der Oper hat das Zeitgenössische längst Eingang gefunden. Das Publikum, das früher zu Festivals für zeitgenössische Musik oder experimentellen Tanz pilgerte, besucht heute Aufführungen in Institutionen, die vor dreissig Jahren schon totgesagt wurden. Die Avantgarde ist in den Kreis der Institutionen aufgenommen. Wer also braucht noch Festivals?

Junge Kulturen brauchen Festivals, um mediale Aufmerksamkeit zu erzielen und um Szenen zu verstärken. Das 1980 gegründete Festival Viper mit dem klaren Fokus auf Videokunst etwa bildete eine Plattform für Entdeckungen, für den Gedankenaustausch und leistete einen Beitrag zur Förderung der Videokunst. Viper ist längst tot; das Nachfolgeprojekt Shift vermittelt seit 2007 den heutigen Stand der Diskussionen im Bereich der elektronischen Künste. Oder das Genfer Festival Archipel für zeitgenössische Musik: es sieht seine Existenzberechtigung darin, ein in seiner Einmaligkeit einzigartiges Fenster zu sein. Die Liste der Beispiele liesse sich in der Schweiz problemlos verlängern, etwa mit Belluard für Spartenübergreifendes, Fumetto für Comics, Alpentöne für zeitgenössische Volksmusik.

Die genannten Festivals konzentrieren sich auf Kunstgattungen, die nur in seltenen Fällen von Institutionen nachhaltig gefördert werden. Ausnahmen gibt es. Aus Anlass des diesjährigen Comicfestivals Fumetto etwa produzierte das Luzerner Stadttheater die Operette «Der Vogelhändler», deren Dekor von einem Comic-Künstler gestaltet worden war.

Es sind also die jungen Kulturen, die Festivals brauchen, um sichtbar und bekannt zu werden. Nur so schaffen sie später den Sprung ins Programm der Institutionen. Und manch ein als experimentell eingestuftes Festival hat die Kulturförderpolitik zur Diskussion herausgefordert und bewirkt, dass bisherige Fördermechanismen angepasst wurden.

Festivals sind auch life-style. Das Publikum besucht Festivals nicht ausschliesslich wegen der Darbietungen auf den Bühnen. Es kommt auch wegen des ganzen Drum und Drans, wie Feuerschlucker, thailändische Küche und VIP-Apéro, die zu festen Bestandteilen des Festivals geworden sind. Der Kulturkonsument ist Allesfresser: Kulinarik, Begegnungen und künstlerische Darbietungen, alles gilt gleichermassen als Kultur.

Manch ein Veranstalter hat schon geklagt, dass bei schönem Sommerwetter das Publikum zwar ans Festival komme, es jedoch vorziehe, den lauschigen Abend draussen zu verbringen und so keinen Eintritt für die Aufführung auf der Bühne bezahle. Festivals haben offensichtlich eine Aura, die dem Publikum manchmal attraktiver scheint als der regelmässige Besuch des Abonnementkonzerts. Festivals geben den Besuchern das Gefühl, am Hier und Jetzt direkt beteiligt zu sein, als Agierender und nicht lediglich als Konsument. Diskussionen, Workshops, Begegnungen scheinen an Festivals einfacher und lustvoller möglich zu sein. Die räumliche und zeitliche Begrenztheit und die Konzentration der künstlerischen Programmierung weisen eine Dichte auf, die dem Publikum signalisiert: wenn du hier nicht dabei bist, hast du etwas verpasst. Ein Festival fördert den Genuss und das Zusammengehörigkeitsgefühl. Dies gelingt Institutionen mit einem Ganzjahresbetrieb seltener.

Ist es die Aufgabe der öffentlichen Hand, Festivals zu fördern oder soll dies hauptsächlich von Privaten getan werden? Die Frage nach den Zielen politischer Kulturförderung auf den Ebenen des Bundes, der Kantone und der Gemeinden verweist auf ein heterogenes Bild. In der Schweiz gibt es keine einheitliche öffentliche Festivalpolitik, und eine Handlungsanweisung zur Förderung von Festivals fehlt. Allerdings kann festgestellt werden, dass zahlreiche Festivals nach dem Modell «public private partnership» funktionieren: mehrere private Partner und die öffentliche Hand finanzieren gemeinsam ein Festival.

Warum sich private Förderer und Sponsoren an der Finanzierung von Festivals massgeblich beteiligen, liegt auf der Hand: sie erhalten eine hohe Sichtbarkeit und einen attraktiven Imagetransfer. Festivals schaffen, da sie separat beworben werden, eine höhere Aufmerksamkeit für die Kunst als etwa der Ganzjahresbetrieb eines Museums. Der Imagetransfer auf den Förderer erlaubt es diesem, seine Stärken ins Licht zu setzen. Eine Firma zum Beispiel, die ihre konservativen Privatkunden ansprechen möchte, wird sich eher bei einem Klassikfestival engagieren, und der Förderer, der auf Innovation setzt, investiert eher in ein Avantgardefestival oder gründet gleich ein eigenes, wie es zum Beispiel das Migros-Kulturprozent mit dem Popmusikfestival M4Music und dem Tanzfestival Steps getan hat.

Private Förderer haben früher als die öffentliche Hand die Attraktivität von Festivals für sich entdeckt. Wohl auch aus einer kulturpolitischen Logik heraus. Christina Weiss, deutsche Staats-Kulturministerin a.D., betont etwa, dass sich die politische Verantwortung der öffentlichen Hand zuallererst auf die Grundfinanzierung von Institutionen, auf die Theater, Museen, Konzerthallen und Literaturhäuser, richte.* Aus dieser Logik heraus galten Festivals lange als Extras im kulturpolitischen Kalender des Staates. Auch heute ist es so, dass viele Festivals keine festen Subventionen der öffentlichen Hand erhalten und von jährlich neuen Gesuchsbewilligungen abhängig sind. Eine Herausforderung für die jeweiligen Festivalverantwortlichen.

Trotzdem gibt es durchaus Gründe, warum der Staat Festivals fördern kann oder soll. Festivals leisten einen Beitrag dazu, den öffentlichen Kulturauftrag zu erfüllen, wie er sich etwa in Artikel 69 der Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft findet. Festivals leisten Vermittlungsarbeit: Rahmenprogramme mit Diskussionen, Symposien und Workshops erlauben dem Publikum vermehrt Zugang zum Gezeigten.

Haben die Festivals Zukunft? Der Zukunftsforscher Georges T. Roos weist darauf hin, dass sich der Kulturkonsum in nichts vom Erlebniskonsum unterscheide.** Er prognostiziert zwei «Megatrends» des gesellschaftlichen Wandels: die Individualisierung und die Beschleunigung. Die Individualisierung der Gesellschaft treibe den Wertewandel und führe zu einer Kontextbefreiung der «Dinge», alles diene der Selbstinszenierung, dem (Kultur-)Konsum und der Weltanschauung. Die Beschleunigung bringe unsere Gegenwart zum Schrumpfen. So würde die Halbwertszeit von Erfahrungen und Wissen immer kleiner. Die Technologie präge bereits jetzt in hohem Masse die Art und Weise unserer Verbindung mit Menschen und Ideen. In diesem Sinne antwortet Roos auf die Frage, was nach den Festivals käme, mit der Gegenfrage: «Was ist noch schneller und episodenreicher als das Festival?» Vielleicht ein endloses Festival im Cyberspace?

Auch in dieser Saison gilt: das Festival lebt. Kultur gibt es nie genug. Auch nicht in einer Zeit wirtschaftlich knapper werdender Ressourcen. Denn jetzt gilt erst recht: Kultur ist der Kitt der Gesellschaft. Festivals gehören dazu, als Gradmesser für das Experimentelle und als Raum für die Abenteuerlust des Publikums.

* zitiert aus Christina Weiss: «Was soll der Staat bezahlen?». Referat anlässlich der Tagung «Festlaune oder Katerstimmung», März 2009.

(www.kulturundoeko-nomie.ch)

** zitiert aus Georges T. Roos: «Kulturkonsum und Megatrends». Referat anlässlich der Tagung «Festlaune oder Katerstimmung», März 2009.

(www.kulturundoeko-nomie.ch)

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