(1) Sollen Fachleute uns regieren?
Die anspruchsvollen Aufgaben einer modernen staatlichen Infrastrukturpolitik sind ohne fundiertes Fachwissen nicht mehr zu lösen. Die Verantwortung für politische Grundentscheide und Weichenstellungen darf aber in einer Demokratie trotzdem nicht an Experten delegiert werden.
Es ist unvermeidlich, dass in einer immer komplexer werdenden Wissensgesellschaft die Zahl und die Bedeutung von Experten zunimmt. Wir benötigen Fachkompetenz, um die verschiedenen Themen unseres modernen Lebens zu analysieren. Wer kennt die Risiken der Gentechnologie; wer weiss, wie ein Tunnel durch die Alpen gebohrt wird; wer traut sich, die Rentenansprüche im Jahre 2050 abzuschätzen? Experten tun das für uns. Aber hier besteht ein Risiko.
Haben wir es zunehmend mit einer Expertokratie zu tun, die eine echte politische Debatte bereits in ihren Ansätzen erstickt? Verdrängt wissenschaftlich fundiertes Expertenwissen den politischen Meinungsmarkt? Bringt uns die Expertokratie Berufspolitiker, oder kann sich die Politik auch in Zukunft auf das Milizsystem stützen? Wer soll die politische Agenda bestimmen: die Politiker, die Bürger oder die Sachverständigen? Verstecken sich die Politiker aus Bequemlichkeit hinter den Experten? Lassen sich die in den vergangenen Jahren stark gestiegenen Beträge für Studien und Expertisen, Gutachten und Berichte rechtfertigen? Dies sind einige der Fragen, die im Beirat des Vereins Zivilgesellschaft an einer Veranstaltung, zu der auch weitere Wissenschafter, Politiker und Wirtschaftsvertreter eingeladen waren, im Oktober 2006 eingehend diskutiert worden sind.
Es gehört zu den Errungenschaften einer modernen, marktwirtschaftlich organisierten Gesellschaft, dass die Spezialisierung zunimmt. Nur indem jeder sich darauf konzentriert, wo er am produktivsten seine Arbeit, sein Wissen einsetzt, sind die phantastischen Produktivitätssteigerungen zu erreichen, die längst den selbstverständlichen Kern des westlichen Erfolgsmodells bilden. Diesen Fortschritt wollen wir nicht beklagen und sicher nicht rückgängig machen.
Trotzdem stellen wir ein wachsendes Unbehagen über die Macht der Experten fest – wobei man klar unterscheiden muss: während niemand sich daran stört, dass in der Wirtschaft unzählige Experten ihr Brot verdienen, stellt sich die Lage in der Politik anders dar. Hier liegt das Problem im demokratisch schwach legitimierten Machtwillen der Verwaltung und in der Mutlosigkeit der Politiker, die sich nicht trauen, die Vorschläge ihrer Beamten in Frage zu stellen. Gerne sehen sich die Experten in der Rolle des «conseiller du prince»: Sie haben Einfluss – ohne Verantwortung übernehmen zu müssen. Anders als im privaten Sektor, werden sie auch nie vom Markt für falsche Ratschläge und falsche Politiken bestraft. Welcher Experte wird je für die Kostensteigerungen des Neat-Projekts am Gotthard zur Rechenschaft gezogen? Missbrauch und Machtanmassung sind nicht auszuschliessen und bilden eine permanente Bedrohung.
Was soll man dagegen tun? Ohne Zweifel können auch die Politiker und die Beamten nicht auf Expertenwissen verzichten. Eine Rückkehr zu den Zeiten des Paternalismus, in denen beispielsweise ein Politiker und Unternehmer wie Alfred Escher praktisch selbst die Linienführung der Alpenbahn festlegte, ist nicht wünschenswert. Ebenso wäre es naiv, allein auf die Integrität der Experten, Beamten und Politiker zu setzen.
Was Abhilfe schaffen kann, ist Transparenz und Wettbewerb. Die Bürger haben ein Recht, genau zu wissen, welche Experten zu welchem Preis aus welchem Grund die Bundesverwaltung und die Regierung beraten. Weil die Politik nie den unbestechlichen Wettbewerb des Marktes simulieren kann, kommt den Medien und der politischen Konkurrenz eine grosse Bedeutung zu. Die Experten müssen sich dem Qualitätsurteil der Öffentlichkeit stellen. Oppositionelle Kräfte sind aufgefordert, den Experten des Bundesrates genau über die Schulter zu blicken.