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Die High-Tech-Teens

Programmieren, Designen, Entwickeln – was hierzulande an Universitäten angeboten wird, lernen die Jugendlichen Armeniens in ihrer Freizeit, spielerisch und kostenlos. Ein Besuch im besten Bildungszentrum, ja, der Welt.

Die High-Tech-Teens
Das Tumo-Tuffgebäude, photographiert von Martina Jung.

«Ihr seid schon die zweite Gruppe Versuchskaninchen heute», sagt Saro Paparian, ohne den Blick vom Mischpult zu heben. Der Produzent und Lehrer für elektronische Musik hier am Tumo Center lässt das neueste Projekt der schuleigenen Band «Pyramidz» durch das Tonstudio schallen. Schwere Bässe, vertrackte Takte, hochgepitchte Stimmen, weiträumige Loops und drei stille Teenager, denen die Vorführung ihrer Musik peinlich oder egal zu sein scheint – schwer auszumachen. «Das klingt wie Flying Lotus!», entweicht es uns, als die Kostprobe endet. Und auf einmal erzählt Paparian, Repatriate aus Los Angeles, enthusiastisch von seiner Heimatstadt und deren Musikszene. Alles, was er über Musik wisse, habe er sich von den Avantgarde-Hip-Hop-Produzenten wie FlyLo, Gaslamp Killer und der ganzen LA Beat Scene abgeschaut, die dort Woche für Woche auftreten. «Das gehört zum Prinzip hier bei Tumo: die Kids bekommen das mit auf den Weg, was ihre Lehrer mitbringen.»

Das Tumo Center for Creative Technologies ist ein Bildungszentrum am Rande Jerewans, das allen Jugendlichen zwischen 12 und 18 Jahren offen steht. Kostenlos lernen sie hier die Grundlagen in Webdesign, Computeranimation, Gameentwicklung und Film. Der Unterricht basiert auf einem eigens entwickelten Selbstlernprogramm, der «Tumo World». Wie in einem Videospiel bewegen sich die Jugendlichen dabei in der virtuellen Lernlandschaft mit ihrer Spielfigur von Aufgabe zu Aufgabe. Nach Erreichen eines bestimmten Levels setzen sie ihren Fokus und beginnen mit den Workshops bei einem der Lehrer. Neben den regulären werden auch kurzzeitige Workshops angeboten, die von Gästen wie dem ehemaligen Twitter-Chefentwickler und anderen hochkarätigen Tech-Spezialisten aus der ganzen Welt gehalten werden.

Initiiert wurde das Projekt von Sam und Sylva Simonian, einem armenischen Ehepaar, das im Libanon aufwuchs und heute in Dallas, Texas, lebt. Selbst IT-Unternehmer, engagiert sich Simonian wie viele andere Diaspora-Armenier für die im Heimatland lebenden Armenier, besonders im Bereich Bildung. So trägt die Simonian Educational Foundation das Center in Jerewan vollständig, von Gebäude und Ausstattung – rund 400 Computer, zwei Tonstudios, ein Kino, eine Cafeteria – über die Pflege der riesigen Grünanlage bis zum Unterrichtsangebot. Ziel aber ist, dass sich das Center durch die Vermietung der oberen vier Stockwerke dereinst selbst trägt. Eine ganze Etage hat PicsArt bezogen, ein armenisches Start-up, dessen Bildbearbeitungs-App bereits 250 Millionen Downloads und 60 Millionen aktive Mitglieder zählt. Den eigenen Tumo-Spin-offs stellt das Center Büros zur Verfügung, d.h. bisher gibt es erst ein Start-up, bestehend aus vier Absolventen, die ihre eigene Animationsfirma gegründet haben und etwas scheu hinter ihren Bildschirmen hervorgrüssen.

2011 wurde das Tumo Center in Jerewan eröffnet. 6000 Schülern bietet es zurzeit einen Lernplatz an, unzählige stehen auf der Warteliste. Zusammen mit Partnern wie der Central Bank of Armenia und der Armenian General Benevolent Union wurden drei weitere Zentren gebaut: 2013 in Dilijan, das nordöstlich von Jerewan liegt, 2015 im nordwestlichen Gyumri und in Stepanakert, der Hauptstadt der Region Berg-Karabach. Eine ganze Generation wird hier kostenlos in allem unterrichtet, was die digitale Zukunft an interessanten und notwendigen Jobs bereithält. Der auf Projektarbeit basierende Unterricht lehrt Programmieren, Zeichnen, Photographieren, Robotik, 3-D-Computergraphik, Storytelling und Musik, aber vor allem sich zu organisieren. Im vierten Jahr des Bestehens sind noch nicht viele Jugendliche, die das Tumo Center besucht haben, in der Arbeitswelt gelandet. «Selbst wenn sie nicht in der IT ankommen, haben sie sich hier ein Skillset angeeignet, das ihnen überall zugute kommt», sagt Zarine Budaghyan, die uns durch das Center führt. «Wir arbeiten gerade daran, ein Evaluationssystem zu entwickeln, um den Weg unserer Absolventen über die nächsten 5 bis 10 Jahre hinweg zu verfolgen.» Staunend, begeistert und auch etwas eingeschüchtert verlassen wir das Tumo Center in Richtung Innenstadt. Reicher wird Armenien werden, an Vielfalt und auch monetär, davon sind wir überzeugt, auch dank den Tumo-Schülern. Ob diese bleiben oder ins Ausland ziehen wie viele andere Junge vor ihnen, hängt davon ab, wie die hiesigen Universitäten ihre Fähigkeiten antizipieren und weiterentwickeln können.

Aram Kocharyan, CEO Volo LLC, photographiert von Martina Jung.

Frei platzierbare «Tumobiles», photographiert von Martina Jung.

Matt Bartelsian, Business Developer Volo LLC, photographiert von Martina Jung.

Webmaschine im Roboticslabor von Tumo, photographiert von Martina Jung.

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Abenteuer Armenien

Anfrage an Radio Jerewan: «Was ist Kapitalismus?» Antwort von Radio Jerewan: «Die Ausbeutung des Menschen durch den Menschen.» Zusatzfrage: «Und was ist Kommunismus?» Antwort: «Da ist es genau umgekehrt.»   «Radio Jerewan», der legendäre Witzsender, der in der Sowjetzeit als Chiffre für beissende Kommunismuskritik stand, dürfte etwas vom wenigen sein, das zum Allgemeinwissen über Armenien […]

Alexander Iskandaryan, photographiert von Martina Jung.
Vom Altertum in die Moderne

Alexander Iskandaryan spricht gerne in Bildern: Zustände wie im alten Babylon, eine Wirtschaft wie in einem Dickens-Roman, ein Land, das in nur einer Generation einen Jahrtausendsprung genommen hat. Die mitteleuropäische Zeitrechnung gilt für Armenien nicht. Ein Aufklärungsgespräch.

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