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Wozu Rettungspakete?

Wo aber Gefahr ist, wächst das Rettende
auch, heisst es bei Hölderlin. Nur sind die gutgemeinten Rettungsmassnahmen
oft schlimmer als die Gefahr selbst. In der
aktuellen Finanzkrise tut vor allem eines not: Gelassenheit. Und Geduld.

Die gegenwärtige Wirtschaftskrise hat dem staatlichen Interventionismus neuen Wind verschafft. Die Regierungen der G-20-Länder haben auf ihrem Gipfel gerade die zwei keynesianischen Kernthesen bejaht: erstens sei die Krise durch die ungezügelten Kräfte des freien Marktes verursacht worden. Daher sei es notwendig, den Markt künftig an eine kürzere Leine zu nehmen und ihn durch ein strengeres Regelwerk in bekömmliche Bahnen zu lenken. Und zweitens bestünde das momentane Kernproblem in einer unzureichenden Gesamtnachfrage, mit anderen Worten in unzureichenden Ausgaben von Seiten der Haushalte und Unternehmen. Der Staat müsse durch «Rettungspakete» und ähnliche Massnahmen an deren Stelle treten, um zu verhindern, dass die Wirtschaft in einen deflationären Strudel versinke.

So liest und hört man es allenthalben. Das macht die Behauptungen freilich nicht richtiger. Im folgenden will ich einige Einwände gegen diese Thesen vorbringen.

Die heutige Krise ist mitnichten der Auswuchs einer freien Marktwirtschaft. Der Staat spielt im heutigen Wirtschaftsleben als Produzent, Verbraucher und Regelgeber eine überragende Rolle. Das gilt insbesondere bei Finanzmärkten. Als die Krise im Sommer 2007 ausbrach, traten die ersten Schwierigkeiten nicht zuletzt bei staatlichen Banken auf (IKB, SachsenLB, WestLB).

Der Krisenherd (Immobilienblase) wurde durch staatliche Interventionen geradezu fahrlässig erzeugt. Seit vielen Jahren schon drängt der amerikanische Staat die Banken des Landes, Kredite an solche Haushalte und Vereine zu erteilen, die nach gewöhnlichen Massstäben eigentlich nicht kreditwürdig sind (Community Reinvestment Act, 1977/1995). Darüber hinaus wurde die künstliche Hausse auf den Immobilienmärkten durch eine Serie von Zinssenkungen in Gang gesetzt, nicht zuletzt, um einer Verringerung der Privatausgaben nach den Anschlägen vom 11. September 2001 zuvorzukommen.

Es stimmt, dass auch die privaten Akteure auf den Finanzmärkten zum Teil waghalsige Anlagestrategien verfolgten. Insbesondere haben sie eine zu geringe Liquiditätsvorsorge betrieben und ihren Eigenkapitalanteil immer weiter verringert. Diese Strategien haben die Finanzmärkte insgesamt anfälliger gemacht und sind somit eine wesentliche Ursache für das heutige Ausmass der Krise. Allerdings war die Waghalsigkeit dieser Investoren eine Folge der von den Zentralbanken betriebenen «Stabilitätspolitik». Die Zentralbanken hatten es sich auf die Fahnen geschrieben, Liquiditätsengpässe und ein starkes Absinken der Börsenkurse zu verhindern. Jeder wusste, dass sie das nötige Mittel (unbegrenzte Geldproduktion) in den Händen hielten. Also bestand für Geschäftsbanken und andere Investoren ein verringerter Anlass, selber Vorsorge gegen Liquiditätsengpässe und fallende Marktpreise zu treffen. Die Folge war ein ausgehöhlter Finanzmarkt, der nun vom Sturm der Krise geradezu weggefegt wurde.

Aber die strukturelle Schwäche der Finanzmärkte war nicht die einzige der durch die jahrelangen Staatseingriffe hervorgebrachten Folgen. Noch schwerer fällt ins Gewicht, dass die Realwirtschaft durch die Unordnung auf den Finanzmärkten in falsche Bahnen gelenkt wurde. Die zwei aufeinanderfolgenden grossen Finanzblasen der amerikanischen Wirtschaft (Börsenblase 1996–2001, Immobilienblase 2002–2007) haben grosse Scheineinkommen und Scheinvermögen entstehen lassen, die die gesamte internationale Arbeitsteilung in ihren Bann gezogen haben.

Industrien wurden in Amerika ab- und anderswo aufgebaut, die Konsumgüterindustrien wurden weltweit ausgedehnt, jeweils verbunden mit zahlreichen Folgeinvestitionen und verringerter Aktivität in anderen Bereichen. Mit dem Platzen der Blase ist es nun offensichtlich, dass sich viele dieser Investitionen nicht rechnen. Die Güter, die die in der Blase entstandenen Industrien fertigen, rechnen sich nur in einer relativ reichen Welt. Die reale Welt ist ärmer als jene reiche Welt, die nur in den falschen Vorstellungen der Anleger bestand. In unserer realen Welt rechnen sich daher andere Güter. Sie braucht vielleicht weniger Autos mit grossem Hubraum, vielleicht mehr Investitionen im industriellen Bereich als in den Dienstleistungen.

Heute lässt sich nur schwer absehen, welche Umstellungen für die Realwirtschaft in den nächsten Jahren notwendig sein werden. Sicher ist nur, dass ein solcher Strukturwandel erfolgen muss, und dass ohne den Strukturwandel in der Realwirtschaft auch die Finanzmärkte letztlich nicht gesunden können.

Genau dieser Umstand wird von keynesianischen Ökonomen vernachlässigt. Daher gehen auch ihre wirtschaftspolitischen Empfehlungen am Kern des Problems vorbei. Die «Stabilisierung» der Wirtschaft durch Fiskalpolitik und Geldpolitik ist aus gesamtwirtschaftlicher Sicht nicht zweckmässig. Kurzfristig hilft sie bestimmten Gruppen zu Lasten der Restgesellschaft. Auf längere Sicht lähmt sie das Wachstum insgesamt.

Was heisst dies konkret? Rettungspakete sind ohne Zweifel für die betroffenen Unternehmen von Vorteil. Aber sie gehen zwangsläufig zu Lasten anderer Teile der Wirtschaft, und sie machen unrentable Investitionen nicht rentabel. Wenn die Finanzierung dieser Massnahmen durch Steuerhöhungen erfolgte, wäre es für jedermann einsichtig, dass sich so nicht die Gesamtlage bessern lässt, sondern eben nur die Lage einiger weniger Marktteilnehmer auf Kosten der anderen.

Bei einer Finanzierung per Staatsverschuldung liegen die Dinge auch nicht anders. Kredite schaffen keine zusätzlichen Ressourcen, sondern bestimmen nur die Verwendung der ohnehin schon vorhandenen Mittel. Wenn der Staat die Subventionierung bankrotter Unternehmen aus Krediten finanziert, bindet er die vorhandenen Ressourcen (insbesondere Arbeit, Rohstoffe und Vorräte) in ebendiesen Unternehmen. Ihre rentable Verwendung an anderer Stelle wird somit im gleichen Zug verhindert. Die Gesamtlage verschlimmert sich, da knappe Mittel verschwendet werden.

Nur wenn der Staat die zusätzlichen Kredite im Ausland aufnimmt, können der nationalen Wirtschaft zusätzliche Ressourcen zugeführt werden. Nun ist allerdings genau diese Möglichkeit durch das gemeinsame Vorgehen aller G-20-Staaten geradezu ausgeschlossen. Wenn jede Regierung ihre Ausgaben durch weitere Kredite finanzieren will, können unmöglich alle von ihnen gleichzeitig ausländische Ressourcen für ihr Land mobilisieren.

Die weltweit steigende Kreditnachfrage der öffentlichen Haushalte schafft keine neuen Ressourcen herbei. Sie immobilisiert die vorhandenen Mittel in unrentablen Projekten und erzeugt dadurch eine relative Verarmung der betroffenen Länder. Das gilt völlig unabhängig von der vielfach erörterten Frage, ob nicht die Zinsen durch die öffentliche Kreditnachfrage nach oben getrieben werden.

Fiskalpolitik funktioniert daher nicht. Auch in der Vergangenheit hat sie ein ums andere Mal versagt: im New Deal, in Japan, beim deutschen «Aufbau Ost». Sie wird auch jetzt keine Besserung unserer gesamtwirtschaftlichen Probleme hervorbringen. Die amerikanische Regierung hat bereits etwa 5 Billionen Dollar (zur Orientierung: das ist eine Zahl mit zwölf Nullen) zur Rettung der Finanzwirtschaft investiert und die Lage immer noch nicht unter Kontrolle. Es ist nicht ratsam, ihr auf diesem Weg zu folgen.

Was aber sind die Alternativen? Der gerade Weg ist häufig der beste: kein Eingreifen der Geldpolitik und keine Fiskalpolitik. Die Folge wäre eine deflationäre Selbstreinigung des Marktes. Gewiss, die Situation würde sich unmittelbar dramatisch verschlechtern. Es käme kurzfristig zu massenhaften Konkursen und grosser Arbeitslosigkeit. Kredite wären nicht mehr zu haben, da es sehr bald kaum noch eine Bank gäbe. Die Produktion würde stocken, Preise und Einkommen stark sinken.

Diesen Prozess gälte es nach Möglichkeit zu beschleunigen, indem man möglichst viele Hindernisse aus seinem Weg räumt, insbesondere Mindestlöhne und Agrarpreispolitik, Arbeitslosenversicherung und das Währungsmonopol der Zentralbanken. Infolge dieser Rosskur würde die Wirtschaft allerdings nicht, wie es vielfach unterstellt wird, in einem grossen schwarzen Loch versinken. Vielmehr würde sie in Rekordzeit gesunden, genau wie sie auch in früheren Zeiten – vor der Ära der «Stabilisierungspolitik» – in einem Zeitraum von etwa ein bis drei Jahren gesundete. Denn die Deflation vernichtet zwar das Vermögen der Schuldner, aber nicht die Realwirtschaft.

Die Ressourcen eines Landes – Charakter und Kenntnisse der Menschen, Klima, Infrastruktur, Gebäude, Maschinen, Vorräte, Rohstoffe – werden von der Deflation nicht zerstört, sondern nur anders verteilt, nämlich von den Schuldnern zu den Gläubigern. Daher kann auch die Produktion sehr schnell auf dem vorigen Niveau weitergeführt werden, sobald die neuen Eigentumsverhältnisse geklärt sind. Bereits auf mittlere Sicht werden die Realeinkommen also an das alte Niveau anknüpfen können, und auf längere Sicht besitzt die neugeordnete Wirtschaft dann sogar ein stark vergrössertes Wachstumspotential. Denn zum einen werden die bekanntermassen unrentablen Unternehmen nicht mehr weitergeführt, zum anderen gäbe es infolge der deflationären Flurbereinigung praktisch keine privaten Schulden mehr.

Man sollte diese Option nicht einfach von vorneherein zur Seite schieben. Ihre kurzfristigen Folgen sind in der Tat hart, aber mittel- und langfristig bietet sie – im Gegensatz zur sogenannten Stabilisierungspolitik – eine wirklich nachhaltige Lösung unserer gesamtwirtschaftlichen Probleme.

Man wende auch nicht ein, dass dabei die Schwächsten unter die Räder gerieten. Die Schwächsten brauchen immer die Hilfe ihrer Mitmenschen. Ein Land, das von heute auf morgen 500 Milliarden Euro für die Finanzwirtschaft mobilisieren kann, wird sicher auch die Mittel finden, jenen durch die Krise zu helfen, die das nicht aus eigener Kraft schaffen.

Jörg Guido Hülsmann, geboren 1966, ist Professor für Ökonomie an der Universität Angers in Frankreich und Autor u.a. von «Ordnung und Anarchie. Essays über Wirtschaft, Politik und Kultur» (2007).

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