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Unternehmer? Sponsor? Citoyen?

Die grosse Aktiengesellschaft, die Société anonyme, ist die Form, die zur Grundposi-tionierung unserer Zeit passt: Ihre Teilhaber verharren in der Anonymität und erwarten Gewinne, ohne sich selbst zu erkennen zu geben. Diese Shareholder gehören wenigstens ideell zur modernen gemeinen Existenzform des Rentners. Wer eine Rente kassiert, kritisiert zwar unter gleichgesinnten Kollegen gerne den «Free Lunch», […]

Die grosse Aktiengesellschaft, die Société anonyme, ist die Form, die zur Grundposi-tionierung unserer Zeit passt: Ihre Teilhaber verharren in der Anonymität und erwarten Gewinne, ohne sich selbst zu erkennen zu geben. Diese Shareholder gehören wenigstens ideell zur modernen gemeinen Existenzform des Rentners. Wer eine Rente kassiert, kritisiert zwar unter gleichgesinnten Kollegen gerne den «Free Lunch», erhebt aber insgeheim zugleich Anspruch darauf. Mehr nehmen als geben, unerkannt bleiben, in der Masse verschwinden, im Stillen seine Forderungen hegen, immer schön profitieren, wenn es umsonst etwas zu haben gibt. So handeln viele, ganz oben ebenso wie ganz unten und auch in der Mitte von Arbeitswelt und Gesellschaft. Anders der Unternehmertypus. Er wagt sich aus der Anonymität, tritt nach vorne, geht in die Offensive (wenn auch nicht in die Politik), handelt auf eigenes Risiko und macht sich dadurch jederzeit angreifbar. Im Unternehmer zeigen sich nach Peter Sloterdijk jene Wesenszüge, die im Grunde alle Menschen auszeichnen, wenn sie auf sich selbst statt auf die dominierenden Berufspessimisten hören: das Zutrauen in sich und der Schritt nach vorne, das Vertrauen in die anderen und der Schritt auf sie zu.

Den Schwarzmalern gelten die Unternehmer, selbst wenn sie die politische Öffentlichkeit scheuen, als Selbstdarsteller. Die sozialdemokratisch angehauchten Misanthropen aller Parteien sehen im Menschen tendenziell ein dauerüberfordertes, notleidendes Objekt, das der Betreuung, Anleitung und Hilfe bedarf – wer die Hilfsbedürftigkeit mit Verweis auf die selbsthelferischen Kräfte des Menschen auch nur schon relativiert, kann in dieser Optik bloss ein besonders arrogantes Exemplar seiner Gattung sein. Die zynischen Misanthropen aller Parteien schildern derweil das Menschenwesen als giergetriebenes Tier, das zu allen Schandtaten bereit ist, sofern sie ihm nur spürbare persönliche Vorteile auf Kosten anderer verschaffen. Wer dies bestreitet, ist in ihren Augen ein idealistischer Naivling, der das Leben noch nicht in seiner ganzen Härte kennengelernt hat. Beide, Sozialdemokraten und Zyniker, kommen darin überein, dass sie den Menschen konsequent nur als Wesen mit Nehmerqualitäten in den Blick nehmen. Die einen sagen: Nimm, was dir von Rechts wegen zusteht! Die anderen: Nimm, was dir niemand nehmen kann!

Hier hakt Peter Sloterdijk ab S. 12 dieser Ausgabe ein weiteres Mal ein. «Der Mensch», sagt er im grossen Gespräch, «ist in ein autoplastisches Experiment involviert.» Meint erstens: wenn der Mensch schlecht von sich selbst denkt, so droht er sich zu unter-bieten. Und zweitens: wenn er sich ständig unterbietet, so wird ihm dieser Zustand irgendwann zur zweiten Natur. Denn wie wir von uns denken, so denken wir auch von anderen. Und wie wir uns verstehen, so verhalten wir uns auch. Nach Art einer selbsterfüllenden Prophezeiung beginnt sich der Mensch tatsächlich wie ein selbstfixiertes, raffgieriges armes Schwein aufzuführen – und die Menschenverächter haben guten Grund zu frohlocken.

Es ist äusserst reizvoll, diesen vorherrschenden Narrativen die Sloterdijk’sche Anthropologie entgegenzusetzen. Man fühlt sich selbst auch gleich besser. Konkret: Selbstachtung statt Menschenverachtung. Der Mensch ist nicht (oder wenigstens nicht nur) ein Mängelwesen, das ständig kompensieren muss, was ihm fehlt, sondern (auch) ein reiches Lebewesen, das aus dem eigenen Vollen schöpft. Es will hoch hinaus – fern von aller Arroganz. Es ist stolz – fern von eigener Überhöhung. Und es will geben – fern von aller Korruption.

Die neue Anthropologie hat Folgen unter anderem für das Selbstverständnis des Menschen als Bürger und Steuerzahler in modernen Staaten. Er ist nicht Untertan, sondern Akteur. Er ist nicht Wählermasse, sondern Citoyen. Er ist nicht Steuerschuldner, sondern stolzer Träger, ja grosszügiger Sponsor des Gemeinwesens. Wenn so grosse Emanzipationspotentiale brachliegen, ist es Zeit zu handeln. Hervortreten, sich angreifbar machen! Dann braucht es auch keine weiteren 200 Jahre, um die Zustände zu ändern, die wir nicht aus höherer Einsicht, sondern bloss aus tiefer Resignation hinzunehmen gelernt haben.

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