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Rede gegen die Weltretter

Essen, Geschlecht, Klima: Sage mir, wie du darüber denkst, und ich sage dir, ob du ein guter Mensch bist. Eine Handvoll theologischer Gedanken zu den gegenwärtigen Glaubenssätzen für eine bessere Welt. Oder besser gesagt: eine Predigt. Aber eine richtige.

«Alle an der Universität gepflegten Disziplinen bemühen sich um wissenschaftliche Erkenntnis von Wirklichkeit.» So steht es im Leitbild der Uni Zürich. Wissenschaftliche Erkenntnisse zeichnen sich dadurch aus, dass sie durch nachvollziehbare Experimente, Beweise oder Erfahrungen abgesichert sind. Die Universität pflegt jedoch nicht nur exakte Wissenschaften, sondern auch weiche wie Philosophie, Geschichte, Ökonomie, Soziologie, Psychologie und Theologie. Hier verschwimmen Beobachtung und Deutung, Empirie und Spekulation. Die Grauzone ist ein Einfallstor für weltanschauliche und politische Vorlieben von Professoren, die ihr Renommee gerne zweckentfremden.

Nicht durch Spekulationen wird die Wissenschaft diskreditiert, sondern durch willkürlich gewählte Leitmotive, die als wissenschaftliche Axiome ausgegeben werden. Ein solches ist das Bonmot von Irmi Seidl, Dozentin für Ökologische Ökonomie an der ETH und der Uni Zürich: «Permanentes ökonomisches Wachstum gibt es erst seit Ende des 2. Weltkrieges.»1 Die meisten Epochen widerlegen Seidls Aussage. Beispiel Mittelalter: in weiten Teilen Europas wurden ab 700 für Ackerbauflächen Wälder gerodet. Erhebliche Wachstumsschübe wurden im 11. Jahrhundert durch den Beetpflug, die Dreifelderwirtschaft, die neue Anschirrtechnik für Pferde, den Hufbeschlag und die Wassermühlen ausgelöst. Im 12. Jahrhundert erzwang das Bevölkerungswachstum eine Reduktion der Viehzucht zugunsten des Getreides. Das Saat-Ernte-Verhältnis stieg von 1:3 auf 1:4. Die Zahl der Mühlen wuchs im Mittelalter in manchen Gegenden innert 200 Jahren um mehr als das Zwölffache. Das Spätmittelalter erlitt – wohl durch Klimaverschlechterung (Ende der mittelalterlichen Wärmeperiode um 1300!) und Übernutzung der Böden – Rückschläge und erholte sich wegen der Pest 1348 und weiterer Seuchenzüge anfänglich nicht. Der Wohlstand stieg dennoch wegen des Bevölkerungsverlusts, gegen 1500 nahm auch die Produktivität wieder zu.

Die Hochschulen sind inzwischen reich bestückt mit Dozenten, deren Leidenschaft nicht der Wissenschaft, sondern Glaubenssätzen für eine bessere Welt gilt. Einige ihrer Axiome lauten: Die EU ist das wahre Europa. Missliebige Unterschiede zwischen den Geschlechtern lassen sich beseitigen, indem man die biologischen Aspekte durch gesellschaftliche ersetzt (Gender). Nur alternative Energien sind zukunftstauglich. Wirtschaftsfreiheit ist unethisch. Volksabstimmungen sind gefährlich. Der Klimawandel rechtfertigt rigorose Zwangsmassnahmen.

Es handelt sich dabei zumeist um Anleihen bei Politikern, die zu jenen Menschen zählen, die ihre Position ausschliesslich der Bildung verdanken, wirtschaftlicher Erfahrung mithin erfolgreich fernstehen (und ja, es stimmt – auch Theologen gehören dazu). Ein weiterer Berufsstand, der in diesem moralischen Wellnessbad mitplanscht, sind die Medienschaffenden. Sie benötigen Gemütsbewegungen für den Verkauf ihrer Produkte. Begeisterung und Freude gehören gewiss dazu, doch wirkungsvoller sind Enthüllung, Empörung und Anklage. Zugegebenermassen haben Enthüllungen schon unzählige Missstände aufgedeckt und Korrekturen ausgelöst. Aber die Medien publizieren permanent, also müssen auch Hiobsbotschaften und Empörung ihre Berichterstattung permanent befeuern. Dazu braucht es ein idealistisches Weltbild, eine gute Welt, in der Harmonie zwischen den Menschen sowie zwischen Mensch und Natur herrscht. Misst man dann die Realität an einer Utopie, so schneidet die Realität immer schlecht ab. Dazwischen beginnt der Handlungsbedarf zu wuchern: Die Welt muss gerettet werden. Der erste Schritt dazu ist die Ausschaltung von Risiken. Zu diesem Zweck erfinden Politiker Vorschrifts- und Verbotskataloge, die mittlerweile nach allen Seiten entgrenzt sind. Helmpflicht auf E-Bikes, null Promille am Steuer, fleischlose Tage in den Kantinen, Schutz der Sparer vor riskanten Geldanlagen, Mietbremse, Mindestlohn und Frauenquote sind nur ein paar Beispiele aus den Ideenbörsen. Der religiöse Kitzel solcher Vorstösse erlaubt es, dass sämtliche Nebenwirkungen, insbesondere bei ökonomischen Eingriffen, ausgeblendet werden. Hängt ein moralisches Gütesiegel an einer Idee, so ist jede Nachprüfung unnötig, ja ehrenrührig. Erfahrungsgemäss sind es jedoch die Projekte mit den erhabensten Zielen, die das grösste Unheil anrichten.

 

Religion als Angelegenheit gottloser Menschen

Ein besonderes Augenmerk verdient Afrika. Die Entwicklungszusammenarbeit hat in den vergangenen sechs Jahrzehnten 1000 Milliarden Franken an Steuergeldern in den afrikanischen Kontinent gepumpt. Hinzu kommen viele Milliarden privat gespendeter Hilfsgelder. Das Ziel war stets, die Verhältnisse so weit zu verbessern, dass das Leben in Afrika attraktiv oder wenigstens erträglich würde. Das Resultat ist, dass von den weltweit gegen 240 Millionen Flüchtlingen die meisten Afrikaner sind. Vor 20 Jahren waren es noch weltweit 175 Millionen Flüchtlinge gewesen. Diese Entwicklung legt nahe: Elend und Armut in Afrika sind gewachsen, nicht trotz, sondern auch wegen der Entwicklungshilfe. Die Bevölkerung wuchs von 287 Millionen (1960) auf deutlich über eine Milliarde Menschen, ungeachtet vieler Programme zur Geburtenregelung.

Immer wenn etwas nicht hinterfragt werden darf, ist Religion im Spiel. Sowohl die Entwicklungshilfe als auch das sozialstaatliche Engagement geniessen den Nimbus von Kulthandlungen. Und umgekehrt singen die Wortführer der Kirchen die Lieder der Umverteilungsapostel mit. Mit den Jokerbegriffen «Nächstenliebe» und «Einsatz für die Schwachen» mutieren die Kirchen zu Institutionen neuer Zivilreligionen. Gottes Offenbarung und die Verheissung für ein Leben nach dem Tod werden überflüssig. Zen­trale theologische Begriffe wie «Kreuz», «Gnade» und «Erlösung» verschmelzen in einem diffusen Humanismus. Mit Vorsorge und Sicherheit ist die Welt zu retten. Sorgen und Schützen ist die neue Zivilreligion. Sie folgt den grünen Hohepriestern, welche die Menschen weg von Gott Vater und hin zu Mutter Erde führen.

Kritiker des neuen Humanismus deuten politische Projekte wie die Klimarettung, die Quotenregelung, die Integration oder die Einheitswährung als Ersatzreligionen. Ihnen muss ich widersprechen: Es handelt sich nicht um Ersatz-, sondern um echte Religionen. Entscheidend ist, die Religion als Unglaube zu durchschauen. Mit Karl Barth gesagt: Religion ist die Angelegenheit des gottlosen Menschen. Am Beginn aller Religion steht das Unbehagen gegenüber den Grenzen, die dem Menschen gesetzt sind, und besonders gegenüber dem Tod. Zwar sind die hochentwickelten Zivilisationen vergleichsweise selten mit dem Tod konfrontiert. Doch je geringer die Risiken sind, desto virulenter sind die Ängste. Nachdem gegen 90 Prozent der Krankheiten, die noch vor 150 Jahren tödlich waren, heilbar geworden sind, projizieren die Menschen ihre Ängste auf virtuelle Bedrohungen: Waldsterben, Grippeepidemien, Ökokatastrophen. Deren Beseitigung erscheint dann als Weg zum Heil. Wer sich für diese Erlösung engagiert, erwirbt Bonuspunkte auf dem Heilskonto der Zivilreligion. Das Primäre ist der dunkle Drang des Menschen, sich selber zu rechtfertigen und zu heiligen. Er will sich bestätigen in seiner Macht, das Leben und die Welt zu meistern. Wo aber der Mensch Rechtfertigung und Heiligung als sein eigenes Werk betreibt, da befindet er sich nach christlichem Verständnis nicht auf dem Weg zu Gott. «Da ist er vielmehr im Begriff, sich gegen Gott zu verschliessen, sich ihm zu entfremden, ja direkt gegen ihn vorzustossen.» (Barth) Die neue Werkgerechtigkeit ist in ihrer Wurzel nichts anderes als der alte Götzendienst.

Die primitiven Urformen aller Religion sind die Gestaltung der Gottheit beziehungsweise des Paradieses sowie die Erfüllung des Gesetzes. Nachdem sich die Gestaltung des Paradieses durch die moderne Technik als Fata Morgana erwiesen hat, ist nun wieder die Erfüllung des Gesetzes an der Reihe. Eine besonders drastische Illustration dazu bietet die Energiewende. Das ökologische Credo «CO2 reduzieren» wanderte nach Fukushima innert Tagen zum Abfall, und Dutzende von thermischen Kraftwerken mit hohem CO2-Ausstoss werden nach dem obrigkeitlich befohlenen Ausstieg aus der Kernkraft zwangsläufig ans Netz gehen müssen. Ausgedehnte Ländereien werden mit Windkraftwerken verschandelt, und die schlechte Energiebilanz der Photovoltaik wird mit milliardenschweren Subventionen auf Pump zugekleistert. Diese Projekte haben in der neuheidnischen Religion inzwischen einen Status wie die Kathedralen des Mittelalters erreicht; Hans-Werner Sinn spricht treffend von den «Sakralbauten» der «neuen grünen Religion» – mit dem Unterschied, dass jene schön waren und heute noch Freude bereiten.

 

Die Angst der Kirchen

Gegen die heidnische Zivilreligion müssten die Kirchen Protest einlegen. Dazu scheinen sie indes nicht in der Lage zu sein. Längst haben sie aus Angst vor weiterem Bedeutungsschwund die Gemeinplätze der Sozial- und Umweltpolitik an die Stelle des Evangeliums gesetzt. Als öffentlich-rechtlich anerkannte Institutionen liegt ihnen die Anpassung an den etatistischen Zeitgeist näher als der Auftrag von Jesus Christus.

Der nunmehr angehäufte Korrekturbedarf ist radikal: Zivilreligion führt nur tiefer in den Schlamassel. Der Sozialstaat ist ein lodernder Krieg gegen die kommenden Generationen. Der öffentliche Verkehr zu Schleuderpreisen ist ein plumper Konsumrausch. Beide tragen den putzigen Klunkerbehang der besseren Moral. Wahre Besserung kommt aus dem Vertrauen zu Gott, das einhergeht mit dem Wissen um die Gefahr der menschlich allzu menschlichen Selbstüberschätzung. Dieses Vertrauen bewahrt den Menschen davor, das Paradies schaffen zu wollen – und dadurch die Hölle einzurichten.

 

1 NZZ vom 22. Juli 2013.

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