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Nacht des Monats mit meinem Sohn

Noel beim Schlafen zuschauen. Man kann fast nicht anders.

Nacht des Monats mit meinem Sohn

Es ist halb zwölf, schon lange dunkel. Noel schläft. In seinem noch etwas zu grossen Schlafsack mit den Wölkchen darauf. Und ich will nur rasch schauen, ob er noch atmet. Manchmal hat man sie. Als junger Vater. Diese Angst, meine ich, dass er damit aufhören könnte, ohne erkennbaren Grund, also wirklich einfach so – kurz vor dem eigenen Wegnicken.

Noel schläft, als habe man ihn ans Bett genagelt. Die kleinen Arme im 90°-Winkel nach oben gerichtet, die speckigen Beine ausgestreckt. Ganz ruhig, neben den drei Plüschtieren, von denen zwei dieselbe Melodie spielen, wenn man an ihren Kordeln zieht. Das war die einzige Doppelung, glaube ich. Ein Wunder, wenn man bedenkt, was wir alles geschenkt bekamen. Ein grösseres Wunder übrigens, dass dieser kleine Mann nun schon Brei isst, Zähne kriegt und in seinem eigenen Zimmerchen ruht.

Noel macht jetzt eines von diesen Geräuschen, die Kleinstkinder machen, wenn sie im Schlaf merken, dass Papa an ihrem Bettchen steht und zuvor vergessen hat, das Licht im Flur zu löschen. Denke ich. Er dreht den Kopf zur rechten Seite, seufzt zufrieden, lebt. Alles gut. Er grinst sogar kurz. Als wolle er sagen: Alles okay, Alter. Kann passieren, bist ja noch neu in dem Job.

Diese kleinen Regungen sind es, die dafür sorgen, dass ich ihm nie böse sein kann. Dafür, dass ich das Champions-League-Schauen im Pub absagen musste. Oder nicht mehr so oft und so lang joggen gehen kann, wie ich das angesichts der drohenden Mastfeiertage eigentlich müsste. Oder wenn er in der vollen S-Bahn losheult.

Jetzt ist er ganz friedlich. Ich setze mich leise neben sein Bettchen und schaue ihm beim Schlafen zu. Man kann fast nicht anders. Viele sagen, er sehe mir ähnlich. Wenn man ihn im Halbdunkel betrachtet, so entspannt und friedlich, hat er mehr von seiner Mutter. Finde ich. Man selbst, so liest man, könne die Frage nach der Ähnlichkeit aber kaum beantworten, erst recht nicht nachts um halb zwölf. Dafür sind die Familienangehörigen da. Tagsüber. Die Augenfarbe hat er jedenfalls weder von ihr noch von mir.

Seit einigen Wochen versucht er jetzt zu krabbeln. Es klappt noch nicht so richtig. Wenn wir als Eltern stolz neben ihm sitzen und zuschauen, würden wir ihm gern helfen. Instinktiv, wie einer alten Frau im Tram, der die Handtasche herunterfällt. Die schlauen Bücher, die ich zum Thema alle lesen soll, sagen aber: Frust gehört für den Kleinen dazu! Frust kann Ansporn sein! Produktives Scheitern nennen das die Verhaltensökonomen, «man irrt sich stets nach oben», sagen sie. Wir lassen Noel nicht liegen – die Handtasche schliesslich auch nicht.

Ich glaube, wir machen das ganz gut. Insgesamt. Mit Kind und Job, mit den verschobenen Rollen und Prioritäten im Leben. Er wirkt zufrieden, wenn er nicht grad Schnupfen hat. Immer öfter wacht er jetzt am Morgen auch als anderer Mensch auf. Auf dem bunten Spielteppich sitzend überlege ich, woher der Eindruck kommt. Es sind die Augen, glaube ich, die anders schauen als noch am Abend zuvor. Wie er mich anschaut, wenn er wach ist, wie er dabei den Kopf hält. Noch vor Wochen war da wenig Ausdruck, nun sind da Interesse, Schalk, echte Freude und auch Ansprüche. Nach sechs Monaten ist er ein Junge geworden. Es wird dadurch nicht einfacher, aber schöner.

In den nächsten paar Minuten wird mein erster Sohn aufwachen und dann – noch vor dem Öffnen der Augen – zu weinen beginnen. Um zwölf macht er das zum ersten Mal, dann wieder zwei Stunden bevor der Wecker klingelt. Zu beiden Terminen kann ich meist nichts für ihn tun, er braucht seine Mutter. Die braucht er ohnehin viel öfter als mich. Bemerkenswert, wie eng die Beziehung zwischen Mutter und Kind ist, egal, wie oft man auch als Papa für ihn singt, mit ihm rasselt, ihn füttert, hochhebt, sein Kötzli vom Holzspielzeug putzt. Vielleicht wird das anders, wenn er einmal «Fussball» sagen kann. Oder später: «Staudamm bauen».

Als ich mich leise aus dem Zimmer schleichen will, merke ich, dass er wach ist. Er schaut mich an mit seinen grossen Augen. Lächelt, zappelt dann still, aber fröhlich mit Armen und Beinen. Hat mir und meinen Gedanken wohl zugehört.

«Hallo, kleiner Mann», sage ich.

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