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Lasst sie arbeiten!

Staaten haben Grenzen und kontrollieren die Zuwanderung. Die nach Arbeit suchenden Menschen kümmert das wenig. Sie gehen dahin, wo sie Chancen wittern.

«Jeder soll überall auf der Welt eine Stelle annehmen können.» Angesichts der gegenwärtigen politischen Verhältnisse mag diese Aussage radikal erscheinen. Doch Vorsicht! Sie besagt nicht: «Jeder soll überall auf der Welt ein Bürger werden können», «jeder soll überall auf der Welt Sozialhilfe beziehen dürfen» oder «jeder soll überall auf der Welt wählen können». Gefordert wird allein, dass es, unabhängig vom Geburtsort, für jeden legal sein sollte, ein Jobangebot von einem Arbeitgeber anzunehmen, der sie oder ihn einstellen möchte. Das entspricht den ebenso «radikalen» Forderungen: «Jede Frau soll jede Stelle annehmen dürfen», «jeder Jude soll jede Stelle annehmen dürfen» und «jeder Schwarze soll jede Stelle annehmen dürfen». Die Rede ist nicht von einer Wohltätigkeitsveranstaltung, noch fordere ich mehr staatliche Unterstützung. Nein, von den Regierungen der Welt wird bloss verlangt, ausländische Arbeitnehmer nicht mehr zu diskriminieren.

Die meisten, die eine stärkere Zuwanderung befürworten, beschränken sich dabei argumentativ auf (hochqualifizierte) Fachkräfte. Ich möchte stattdessen auf die grosse Mehrheit potentieller Einwanderer fokussieren, die nicht hochqualifiziert sind: In den USA reichen diese vom haitianischen Schuhputzer über die nigerianische Kellnerin oder den mexikanischen Gärtner hin zur bangladeschischen Bäuerin.

Manche mögen sich nun fragen: Warum zum Teufel sollten wir die Einwanderung solcher ausländischen Arbeitskräfte nicht einschränken? Aus demselben Grund, aus dem wir auch Frauen, Juden oder Schwarze nicht diskriminieren sollten: weil es sich um unsere Mitmenschen handelt. Ihre Leben haben ebenso viel Bedeutung wie unsere. Denn angenommen, sämtliche Regierungen schlössen sich zusammen und erklärten es für illegal, dass jemand anderswo als in Haiti arbeitet: Wäre ein solches Gesetz etwa moralisch vertretbar? – Leider befinden sich viele Menschen genau in dieser Situation.

Die zwangsweise Diskriminierung von Ausländern erschreckt noch mehr, wenn man bedenkt, dass die meisten Arbeitskräfte in der Ersten Welt erheblich mehr verdienen könnten als zu Hause. Ein Umzug von Haiti nach Miami steigert den Lohn um das Zwanzigfache. Das sind nicht 20 Prozent mehr. Das sind 2000 Prozent mehr.

Natürlich lässt sich einwenden, dass niemand verpflichtet sei, vollkommen Fremden zu helfen. Es Menschen zu erlauben, ein Stellenangebot anzunehmen, zeugt allerdings nicht von einer besonderen Barmherzigkeit, sondern von minimalem Anstand. Wenn jemand eine Stelle annimmt und ich an seinem ersten Arbeitstag seine Autoreifen nicht aufschlitze, macht mich das noch lange nicht zu einem Wohltäter. Schliesslich habe ich keine «Rettet ausländische Arbeitnehmer!»-Stiftung gegründet. Ich habe sie bloss in Ruhe gelassen.

Leider kann es tragischerweise enorme Kosten mit sich bringen, andere in Frieden zu lassen. Wenn jemand an der Beulenpest erkrankt ist, stellt eine Quarantäne eindeutig das geringere Übel dar. Denn könnte sich die erkrankte Person weiterhin frei bewegen, könnte dies zum Tod von Millionen Menschen führen. – Würden sich offene Grenzen ähnlich verheerend auf die Volkswirtschaft auswirken? Nein. Vielmehr geht jede akademische Untersuchung der potentiellen ökonomischen Folgen offener Grenzen von einem enormen Nutzen aus. Der Ökonom Michael Clemens, weltweit führender Experte auf dem Gebiet, stellte fest, dass ein freier weltweiter Arbeitsmarkt die globale Produktion in etwa verdoppeln würde.

Wie das? Lassen Sie sich dazu auf ein kleines Gedankenexperiment ein: Stellen Sie sich eine Milliarde Bauern vor, die in der Antarktis festsitzen. Was geschähe, wenn wir es ihnen ermöglichten, an Orte zu ziehen, an denen sich ihre Arbeitskraft produktiver einsetzen liesse? Ihre Situation würde sich offensichtlich verbessern. Aber eben nicht nur ihre, sondern auch die sämtlicher (Nahrungs-)Konsumenten des Planeten. Ökonomisch gesehen sind Haiti und Bangladesch wie die Antarktis; in diesen Ländern können die Arbeiter nur einen Bruchteil ihres Potentials verwirklichen. Oder was ist der beste Job, den Sie in Bangladesch finden könnten?

Aber schaden offene Grenzen nicht den einheimischen Arbeitern? Manchen schon. Mir zum Beispiel. Ich bin Collegeprofessor und gebürtiger Amerikaner. Dank einer Lücke im Einwanderungsgesetz kann praktisch jeder Ökonom mit Doktortitel mir auf dem US-Arbeitsmarkt Konkurrenz machen. Das Resultat: etwa die Hälfte aller Forschungsprofessoren in den USA stammen aus dem Ausland. Diese Gesetzeslücke reduziert sowohl meinen Lohn wie meine Karriereaussichten drastisch. Wahrscheinlich sitzt irgendwo in Harvard ein Einwanderer in dem Büro, das eigentlich mir zustehen würde!

Ist meine traurige Geschichte nicht ein Argument dafür, die Einwanderung zu beschränken? Sicher! Halt. Warten Sie. Nicht wirklich. Denn die professorale Einwanderung mag für mich schlecht sein, aber sie ist gut für die Bildungskonsumenten, für die Studentinnen und Studenten. Wenn Sie froh sind, dass Sie für Ihre Uni-Ausbildung nicht noch mehr bezahlt haben, sollten Sie den Einwanderern danken. Ähnliches gilt für fast jeden Berufszweig. Die Einwanderung von Kellnern mag den gebürtigen Kellnern schaden, aber sie hilft den kleinen Restaurants zu überleben. Die Einwanderung von Gärtnern mag schlecht für die einheimischen Gärtner sein, aber sie kommt allen Hausbesitzern zugute.

Wie lässt sich der Gesamteinfluss bestimmen, den die Einwanderung auf die Volkswirtschaft ausübt? Behalten wir die Produktion im Auge! Wenn sich die globale Produktion verdoppelt, wird sich sehr wahrscheinlich auch Ihr Lebensstandard verbessern. Hier ist nicht von einer «Trickle-Down»-Ökonomie die Rede, sondern von einer Niagarafall-Ökonomie!

Was kann man den endlosen Beschwerden über die Einwanderung entgegensetzen, bei denen keine wirtschaftlichen Bedenken im Vordergrund stehen? Ich schlage folgende Regel vor: Egal, worüber sich die Leute beschweren, es gibt eine billigere und humanere Lösung, als auf die Diskriminierung von Ausländern zu setzen.

 

  1. Einwanderer missbrauchen den Wohlfahrtsstaat?
    Lasst sie arbeiten, aber keine Sozialleistungen beziehen.
  2. Einwanderer schaden der Umwelt?
    Lasst sie arbeiten und besteuert die von ihnen
    verursachte Umweltbelastung.
  3. Einwanderer wählen die falschen Politiker?
    Lasst sie arbeiten, aber nicht wählen.
  4. Einwanderer schaden den schlecht ausgebildeten Arbeitern?
    Lasst sie arbeiten, aber verlangt eine Zulassungsgebühr von ihnen oder belegt sie mit einem Steuerzuschlag und benutzt diese Mittel, um die gering qualifizierten Einheimischen zu kompensieren.

 

Wer findet, dass diese Mittel unfair sind, sollte bedenken, dass sie auf jeden Fall weniger unfair sind, als ehrliche Arbeiter zu Kriminellen zu machen.

Jeder soll überall auf der Welt eine Arbeit annehmen können. Das ist unseren Mitmenschen gegenüber nur fair. Es wird die Welt zu einem besseren Ort machen. Und es wird uns weniger als gar nichts kosten.


Der Text wurde erstmals am 1. November 2013 auf der Econlib-Website veröffentlicht. Wir danken dem Autor und dem Liberty Fund, Inc (http://www.libertyfund.org) für die Abdruckgenehmigung.

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Wenn politische Visionen auf ökonomische Realitäten prallen

Politiker verhalten sich oft so, als gäbe es keine ökonomischen Grundgesetze. Wir erinnern uns an die Lancierung des Euros, die ungeachtet aller ökonomischen Warnrufe durchgesetzt wurde und bis heute mitverantwortlich ist für europäische Staatsschuldenkrisen. Umgekehrt ignorieren Ökonomen gerne die Funktionsweise von Politik, die Zukunft gestalten soll und dabei gerne über Empirie und wirtschaftliche Daten hinwegsieht. […]

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