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Warum das heutige Finanzsystem so teuer und instabil ist – und wie die Blockchain es verändern wird.
Die Blockchain ist eines der grössten Abenteuer unserer Zeit. Um die Macht dieser Technologie zu demonstrieren, muss ich erst kurz in der Geschichte zurückblicken. Wer, wie ich, auf fast dreissig Jahre Erfahrungen im Finanzsektor zurückblicken kann und die Finanzkrise hautnah miterlebt hat, der weiss, dass es vor acht Jahren vor allem ein Faktor war, der das globale Finanzsystem beinahe in die Knie gezwungen hätte: die Vernetzung zahlreicher Finanzdienstleister bei gleichzeitiger Undurchsichtigkeit darüber, auf welche Art sie vernetzt waren.
In der Zeit nach der Krise kam es zu tiefgreifenden Reformen des globalen Banksystems und des Finanzdienstleistungssektors. Viele dieser Reformen hatten eindeutig einen positiven Effekt. So ist der globale Banksektor heutzutage viel weniger stark fremdkapitalfinanziert, als das noch 2007 der Fall war. Andererseits hatten einige dieser Reformen unvorhergesehene Konsequenzen. Es sind neue, momentan noch wenig bekannte Risiken entstanden. Es lohnt sich, sich damit auseinanderzusetzen. Zum Beispiel wurde für den Handel mit Derivaten ein zentraler Clearing-Prozess erzwungen. Dazu kommt, dass mehr und mehr Schattenbanken entstanden. Das liegt zumindest teilweise daran, dass die erhöhten Eigenkapitalanforderungen die Banken zwingen, ihre Risiken und ihre Vermögenswerte zu verringern. Die Marktliquidität hat abgenommen, der Handel zugenommen. Jedenfalls: während das globale finanzielle Ökosystem inzwischen zentralistischer reguliert wird als je zuvor, hat sich die Geschwindigkeit, mit der neue Transaktionen abgeschlossen werden, weiter erhöht.
Diese Transaktionen werden im Bruchteil von Sekunden abgeschlossen, doch ironischerweise dauert es in vielen Fällen immer noch Tage, wenn nicht Wochen, um sie abzuwickeln. Vielleicht werden einige von Ihnen meine Rede twittern und jemand in Sydney wird davon gehört haben, noch bevor ich damit fertig bin und mich wieder hinsetze. Doch diejenigen von Ihnen, die vorher über ihr iPhone eine Aktie gekauft haben, dürften sie frühestens nächste Woche sehen.
Widerstandsfähigkeit wird wichtiger
Im Kontext eines Finanzsystems, das sich immer mehr ins Digitale verlegt und immer stärker beschleunigt, rückt die Widerstandsfähigkeit des Betriebs zunehmend in den Fokus der Öffentlichkeit. Nicht nur die Finanzdienstleister selbst, sondern auch die den Finanzmarkt regulierenden Behörden fürchten sich zu Recht davor, dass es in Zukunft zu immer mehr Cyberattacken und Betriebsausfällen kommt.
Die grossen Finanzinstitutionen stehen heute vor einer Herausforderung, müssen sie doch eine immer grössere Zahl sensibler Transaktionsdaten nicht nur verarbeiten, sondern auch aufzeichnen, überprüfen und den Behörden melden. Die Infrastruktur, auf die sie sich stützen, um diese Aufgaben zu erfüllen, ist allerdings vollkommen veraltet. Sie ist zentralisiert und wird von einem lückenhaften Sicherheitssystem geschützt, das sich, wie sich wiederholt gezeigt hat, leicht hacken lässt. Die übertragenen Daten sind ausserdem nicht einmal verschlüsselt. Das bedeutet, dass jeder, dem es gelingt, diese Sicherheitsparameter zu durchbrechen, diese Daten ziemlich leicht einsehen und manipulieren kann. Im allgemeinen bauen die Systeme, die momentan im Gebrauch sind, auf einer aufwendigen Speicherarchitektur auf, bei der jede Verbindung zwischen zwei Endknoten nicht direkt, sondern über einen Zentralknoten erfolgt. Es entstehen enorme Kosten, weil dieselben Daten an verschiedenen Orten und zu verschiedenen Zeiten gespeichert werden und immer wieder abgeglichen werden müssen. Wer selbst im Finanzsektor tätig ist, wird genau wissen, von welchen Problemen ich spreche. Wer dagegen den Sektor bisher von aussen wahrgenommen hat und vielleicht von einer Welt träumt, in der es die Finanzindustrie gar nicht mehr braucht, sollte genau lesen. Denn das Ganze ist nicht so einfach, wie es scheinen mag.
Was macht die «Distributed Ledger Technology» DLT, also die dezentrale Kontoführung, so ungeheuer aufregend? Zu einer so mächtigen Entwicklung? Diese Technologie hat mich derart angezogen, dass ich nach fast dreissig Jahren bei einem der grössten Finanzdienstleister der Welt, JP Morgan, jetzt ein Start-up namens Digital Asset führe. Was ist die Blockchain?
Alles, was von Wert ist
Im Kern handelt es sich dabei um eine IT-Innovation, die durch die Kryptographie sowie Fortschritte im Internet und bei der Rechenpower ermöglicht worden ist. Zunächst bauen diese Datenbanken auf Opensource-Internetprotokollen auf. Das bedeutet, dass die Menschen, die hinter diesen Innovationen stehen, sie allen gratis zur Verfügung stellen, damit die Welt eine bessere und effizientere wird. Die digitalen Kontobücher können so programmiert werden, dass praktisch alles von Wert darauf abgelegt werden kann: eine Identität, ein Wille, ein Titel, eine Lizenz, geistiges Eigentum, eine Erfindung, aber auch fast jede Art von Finanzinstrument.
Die Fakten darüber, wer welches Finanzinstrument oder andere Wertobjekte besitzt, lassen sich auf einem solchen digitalen Konto mit Leichtigkeit festhalten. Und nicht nur das: es lässt sich selbst festhalten, welche Geschäftslogik zwischen zwei Parteien während einer Finanztransaktion vereinbart worden ist, was sie also gemäss Übereinkommen füreinander zu tun bereit sind, ihre Pflichten oder Verantwortlichkeiten. DLT ermöglicht uns also viel mehr, als nur festzuhalten, wer etwas besitzt. Sie ist fähig, eine grosse Menge Detailinformationen festzuhalten, die für die Zukunft wichtig sein könnten. Ausserdem lassen sich diese Konten nicht manipulieren, weil so viele Computer gleichzeitig zusammenarbeiten. Oft werden sie mit einer Kryptowährung wie beispielsweise Bitcoin belohnt dafür, dass sie das System prüfen, gutheissen und stabil halten.
Das macht nun eine fundamental veränderte Finanzinfrastruktur möglich. Kosten, Risiken und Ineffizienz werden drastisch reduziert. Transaktionen sind sicher bei verschiedenen Akteuren abgelegt und immer synchronisiert – ohne dass irgendjemand immer wieder Abweichungen entdecken, erklären und ausgleichen muss. Und das ist eine extreme Chance für Finanzinstitute. Wenn wir übrigens über die öffentliche Natur des Systems sprechen, bedeutet das keineswegs, dass alle Informationen sofort veröffentlicht werden. Ein wichtiges Feature der Verschlüsselung ist es nämlich, dafür zu sorgen, dass private Informationen privat bleiben.
Wie gelingt es nun dieser Technologie konkret, die Verzögerungen zu umgehen, die heute aus all den verschiedenen Transaktionen im Finanzsystem entstehen? Kurz gesagt eben, indem eine Option, ein Darlehen oder was auch immer als digitale Information notiert werden. Sobald ein finanzieller Vermögenswert auf diese Weise abgespeichert ist, können Sie den Anspruch darauf praktisch in Echtzeit digital weiterübertragen. So entsteht eine unveränderbare Transaktionsspur, die von allen Beteiligten überprüft werden kann. Der gesamte Lebenszyklus eines Handels, einschliesslich des tatsächlichen Aktes, allfälliger Aufrechnungen mit anderen Deals und der genauen Vereinbarungen, kann ständig und gleich zu Anfang überprüft werden. Das ist deutlich früher im Prozess als bisher. Dafür gibt es einen Billionenmarkt.
Nun will ich Sie nicht zu sehr in Aufregung versetzen. Es wird noch eine Weile brauchen, bis die Blockchain-Technologie breit akzeptiert und genutzt wird. Das Interesse daran ist gross, aus den Gründen, die ich gerade geschildert habe. Doch es liegt eine Menge Arbeit vor uns, und es gibt eine Reihe berechtigter Fragen. Kann der kooperative Mechanismus Angriffe wirklich überstehen? Haben wir wirklich Kapazität für all die Abertausenden von Transaktionen, die jede Sekunde stattfinden? Können wir den Datenschutz tatsächlich gewährleisten? Wer ist an dem Netzwerk beteiligt, können wir wissen, wer sie sind? Können wir somit die Regulatorien einhalten, die uns zur Identifizierung der Gegenpartei verpflichten?
Hier setzt meine Firma Digital Asset an. Im Grunde bauen wir eine Brücke von der neuen digitalisierten Welt zur existierenden Finanzinfrastruktur. DLT kann potenziell bestehende Geschäftsmodelle gefährden. Sie kann aber genauso gut bestehende Geschäftsmodelle enorm stärken, indem sie deren Kosten senkt, sie effizienter und weniger risikoreich macht. Das bedeutet irgendwann höhere Erträge für die Menschen dort draussen, die Anleger, die ihr Erspartes investieren. Es geht hier also nicht nur um die Banken oder die Zwischenhändler, die Börsen, die Institutionen, es geht um uns alle.
Dieselben Dinge, nur schneller und effizienter
Die heutigen Finanzmärkte werden stark reguliert – und das aus sehr guten Gründen. Blockchain-Technologien können mehr Transparenz schaffen und die Risiken bestehender Finanzinstitute reduzieren. Ein Riesenblock der heutigen Betriebskosten geht zurück auf das Nachverfolgen von Informationen, das Abgleichen, die Berichte, auch an Regulatoren, das Nachprüfen. All diese Dinge werden nicht verschwinden, die braucht es. Der Punkt besteht darin, sie schneller und effizienter zu tun. Hier liegt die grosse Chance der DLT für die bestehenden Finanzmärkte.
Dieser Wandel wird nicht über Nacht kommen, aber er wird kommen. Allerlei Firmen befassen sich damit, von grösseren bis zu kleinen wie meiner. Sie zeigen Finanzinstituten auf, wie sie die neue Technologie in die bestehende Finanzinfrastruktur integrieren können. Das ist die Herausforderung: die Brücke zu bauen von den etablierten Instituten zu dieser Technologie, und zwar auf eine Art, die sowohl ihnen und ihren Kunden als auch den Regulierern nützt.
Wie ernst sollten Sie all dies nehmen? Ich würde es etwa so ernst nehmen, wie Sie das Internet Anfang der 1990er hätten nehmen sollen. Es ist eine grosse Sache. Es wird wirklich verändern, wie unser Finanzsystem funktioniert.
Blythe Masters
ist CEO von Digital Asset. Die Ökonomin arbeitete 27 Jahre bei JP Morgan, unter anderem als Finanzchefin der Investmentbank. Sie gilt als Mitentwicklerin der Credit Default Swaps (CDS).
Dieser Text ist eine gekürzte Version einer Rede, die Blythe Masters an der Branchenkonferenz «Exponential Finance» hielt, die jährlich im Juni stattfindet. Sie erscheint erstmals im «Schweizer Monat».